Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
meine Humanität nie geglaubt und daher immer gezittert hat; abertrotz dieses Zitterns fügte sie sich doch keiner geistigen Einwirkung. Diese Leute verstehen das irgendwie, wir aber verstehen da manches nicht; und überhaupt verstehen sie es besser als unsereiner, mit ihren Angelegenheiten fertig zu werden. Sie vermögen es, in Lagen, die für sie ganz unnatürlich sind, auf ihre Art weiterzuleben und in ganz fremdartigen Lagen sie selbst zu bleiben. Wir verstehen das nicht so.«
    »Wer sind diese Leute? Ich verstehe Sie nicht ganz.«
    »Das Volk, mein Freund; ich spreche vom Volk. Es hat seine große Lebenskraft und seinen historischen Weitblick in sittlicher und politischer Hinsicht bewiesen. Aber um auf unsern Gegenstand zurückzukommen, so möchte ich über deine Mutter bemerken, daß sie denn doch nicht immer schweigt, deine Mutter redet auch manchmal, aber sie redet so, daß man ohne weiteres sieht, daß man mit allem, was man vorher gesagt hat, nur seine Zeit verloren hat, und wenn man selbst fünf Jahre lang allmählich auf sie einzuwirken versucht hat. Außerdem sind ihre Erwiderungen höchst überraschend. Wieder sollst du wissen: ich nenne sie durchaus nicht dumm; im Gegenteil, sie besitzt in ihrer Art Verstand und sogar sehr bemerkenswerten Verstand; aber du glaubst vielleicht nicht an ihren Verstand ...«
    »Warum nicht? Ich glaube nur nicht, daß Sie selbst an ihren Verstand wirklich und ohne Verstellung glauben.«
    »Hm! Du hältst mich für eine Art Chamäleon? Mein Freund, ich erlaube dir ... als einem verwöhnten Sohn ein bißchen sehr viel ... aber mag es diesmal so bleiben.«
    »Erzählen Sie mir etwas von meinem Vater, und, wenn Sie das können, die Wahrheit!«
    »Über Makar Iwanowitsch? Makar Iwanowitsch gehörte, wie du schon weißt, zum Gutsgesinde und trachtete sozusagen nach einem gewissen Ruhm ...«
    »Ich möchte wetten, daß Sie ihn in diesem Augenblick um irgend etwas beneiden!«
    »Im Gegenteil, mein Freund, im Gegenteil, und wenn du willst, mich freut es sehr, daß du in der Stimmung bist, deinen Scharfsinn zu üben; ich versichere dir, daß ich mich gerade jetzt in einer höchst reuevollen Gemütsverfassung befinde und gerade jetzt, in diesem Augenblick, vielleichtzum tausendsten Mal machtlos all das bedaure, was vor zwanzig Jahren geschehen ist. Gott weiß, daß sich alles damals im höchsten Grad zufällig ereignete ... nun, und dann auch so human, wie es nur in meiner Macht lag; wenigstens wie ich mir damals eine Handlung der Humanität vorstellte. Oh, wir brannten damals alle vor Eifer, Gutes zu tun, dem Gemeinwohl, der höchsten Idee zu dienen, wir verwarfen die Rangstufen, die Vorrechte unserer Geburt, die Stellung des Gutsherrn und sogar die Hypothekenbank; wenigstens taten das manche von uns ... Mein Ehrenwort darauf. Wir waren nicht viele, aber wir redeten gut und, ich versichere es dir, handelten sogar manchmal gut.«
    »Zum Beispiel damals, als Sie an seiner Schulter schluchzten?«
    »Mein Freund, ich bin mit dir im voraus in allen Stücken einer Meinung; übrigens, das von der Schulter hast du von mir selbst gehört; du mißbrauchst also in diesem Augenblick meine eigene Offenherzigkeit und Vertraulichkeit; aber du mußt doch selbst zugeben, daß diese Schultergeschichte wirklich nicht so schlecht war, wie sie auf den ersten Blick scheint, namentlich für jene Zeit; wir hatten ja damals eben erst angefangen. Natürlich schauspielerte ich, aber ich wußte ja damals noch nicht, daß ich schauspielerte. Schauspielerst du zum Beispiel niemals in Fällen, wo es praktisch ist?«
    »Ich bin vorhin unten ein bißchen zu gefühlvoll gewesen, und als ich hier nach oben kam, schämte ich mich sehr bei dem Gedanken, Sie könnten denken, daß ich geschauspielert hätte. Das ist richtig, daß man sich manchmal trotz aller Aufrichtigkeit des Gefühls doch verstellt; aber vorhin unten war mein Benehmen durchaus natürlich, das kann ich beschwören.«
    »Genauso ist es; du hast es mit wenigen Worten sehr treffend ausgedrückt: Trotz aller Aufrichtigkeit des Gefühls verstellt man sich doch«; nun, ganz ebenso ging es auch mir: ich verstellte mich zwar, aber mein Schluchzen war vollkommen aufrichtig. Ich bestreite nicht, daß Makar Iwanowitsch diese Schultergeschichte noch als eine Steigerung des Hohnes hätte auffassen können, wenn er scharfsinniger gewesenwäre; aber seine Ehrlichkeit ließ ihn damals nicht scharfblickend sein. Ich weiß nur nicht, ob ich ihm damals leid tat; ich

Weitere Kostenlose Bücher