Der Jüngling
mich meiner soeben erst vergangenen nächtlichen Phantastereien – mitunter waren es sogar Taten gewesen – erinnerte. Aber im Vorbeigehen möchte ich doch bemerken, daß ich den Petersburger Morgen, mag er auch der prosaischste auf dem ganzen Erdball scheinen, doch beinahe für den phantastischsten auf der Welt halte. Das ist meine persönliche Anschauung oder, richtiger gesagt, meine persönliche Empfindung, aber ich stehe dafür ein. An einem solchen modrigen, feuchten, nebligen Petersburger Morgen muß, wie ich meinen möchte, der wilde Gedanke so eines Puschkinschen Hermann aus der »Pique-Dame« noch stärker und kräftiger werden (beiläufig: eine kolossale Persönlichkeit, dieser Hermann, ein ungewöhnlicher, echt Petersburger Typ, ein Typ aus der Petersburger Periode!). Hundertmal ist mir inmitten dieses Nebels der seltsame, zudringliche Gedanke gekommen: »Wie, wenn dieser Nebel sich zerteilt und in die Höhesteigt? Wird dann vielleicht mit ihm zugleich auch diese ganze modrige, glitschige Stadt davongehen, sich in die Höhe heben und wie ein Rauch verschwinden und der frühere finnische Sumpf zurückbleiben, und mitten darin vielleicht zum Schmuck der eherne Reiter auf dem schwer keuchenden, abgehetzten Pferd?« Kurz, ich kann meine Empfindungen nicht ausdrücken, weil das alles Phantasie ist oder Poesie, also Unsinn; aber doch trat und tritt mir oft eine völlig sinnlose Frage entgegen: »Da hasten und rennen sie nun alle dahin, aber woher kann man's wissen, vielleicht ist das alles nur ein Traum, und es gibt hier überhaupt keinen einzigen wirklichen, richtigen Menschen und keine einzige wirkliche Handlung? Und der Betreffende, der das alles träumt, erwacht plötzlich, und alles verschwindet.« Aber ich bin von meinem Gegenstand abgeirrt.
Ich will im voraus sagen: es kommen im Leben eines jeden Projekte und Pläne vor, die scheinbar so exzentrisch sind, daß man sie auf den ersten Blick unbedenklich für Wahnsinn halten kann. Mit einem solchen phantastischen Einfall kam ich an diesem Morgen zu Swerjew – zu Swerjew, weil ich sonst niemand in Petersburg hatte, an den ich mich in dieser Angelegenheit hätte wenden können. Aber dabei war gerade Jefim eine Persönlichkeit, an die ich mich, wenn ich die Wahl gehabt hätte, mit einem solchen Anliegen zuallerletzt gewendet hätte. Als ich mich ihm gegenübergesetzt hatte, schien es mir sogar selbst, daß ich, der personifizierte Fieberwahn, der personifizierten goldenen Mittelmäßigkeit und Prosa gegenübersaß. Aber auf meiner Seite war die Idee und das richtige Gefühl, auf der seinigen nur die praktische Erwägung, daß man nie so handle. Kurz gesagt, ich erklärte ihm mit wenigen, deutlichen Worten, daß ich außer ihm in Petersburg absolut niemand hätte, den ich in einer ungewöhnlichen Ehrensache als Sekundanten schicken könne; er sei ein alter Schulkamerad von mir und daher nicht einmal berechtigt, sich zu weigern; fordern wolle ich den Gardeleutnant Fürst Sokolskij, weil er vor mehr als einem Jahre in Ems meinem Vater Wersilow eine Ohrfeige gegeben habe. Ich bemerke hierbei, daß Jefim über alle meine Familienverhältnisse, über meine Beziehungen zu Wersilow und beinahe über alles, was ich selbst vonWersilows Vorleben wußte, sehr genaue Kenntnisse besaß; ich hatte es ihm zu verschiedenen Zeiten selbst mitgeteilt, natürlich mit Ausnahme gewisser Geheimnisse. Er saß da und hörte zu, wie es seine Gewohnheit war, – schweigsam und ernsthaft, mit seinem struppigen weißen Haar sah er aus wie ein Sperling, der im Käfig sein Gefieder sträubt. Ein unbewegliches, spöttisches Lächeln wich nicht von seinen Lippen. Dieses Lächeln war um so häßlicher anzusehen, als es ganz unbeabsichtigt, unwillkürlich war; man sah, daß er sich wirklich und wahrhaftig mir in diesem Augenblick an Verstand und Charakter weit überlegen vorkam. Auch hatte ich den Verdacht, daß er mich außerdem wegen der gestrigen Szene bei Dergatschew verachtete; das konnte ja auch nicht anders sein: Jefim gehörte zur großen Masse, zur Straße, und diese beugt sich nur vor dem Erfolg.
»Und Wersilow weiß nichts davon?« fragte er.
»Selbstverständlich nicht.«
»Was hast du dann also für ein Recht, dich in seine Angelegenheiten einzumischen? Das ist das eine. Und zweitens: was willst du denn damit beweisen?«
Ich hatte diese Einwände vorhergesehen und setzte ihm sofort auseinander, daß mein Verfahren durchaus nicht so dumm sei, wie er meine: Erstens werde diesem
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