Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
mich bei den Schultern, drehte mich mit dem Gesicht nach dem Fußboden zu und – bewies mir durch die Tat, daß er wirklich bei uns auf dem Gymnasium der Stärkste gewesen war.

II
     
    Der Leser denkt gewiß, ich hätte mich, als ich aus Jefims Wohnung herauskam, in der schrecklichsten Gemütsverfassung befunden, aber er irrt sich. Ich begriff sehr wohl, daß das nur ein Vorgang gewesen war, wie er zwischen Gymnasiastennicht selten ist, daß aber der Ernst der Sache dadurch nicht berührt wurde. Meinen Kaffee trank ich erst auf der Wassilij-Insel; ich vermied absichtlich mein gestriges Restaurant auf der Petersburger Seite; dieses Restaurant und die Nachtigall waren mir doppelt verhaßt geworden. Ich besitze eine sonderbare Eigenheit: ich bin imstande, Orte und Gegenstände ebenso zu hassen, als wären sie Personen. Dafür habe ich in Petersburg auch einige glückliche Orte, das heißt solche, wo ich aus irgendeinem Grunde einmal glücklich gewesen bin, – und was tue ich? Ich spare mir diese Orte auf und vermeide sie absichtlich möglichst lange, um später, wenn ich ganz allein und unglücklich sein werde, hinzugehen, dort zu trauern und mich meinen Erinnerungen zu überlassen. Während des Kaffeetrinkens ließ ich Jefim und seinem gesunden Menschenverstand volle Gerechtigkeit widerfahren. Ja, er war praktischer als ich, aber schwerlich realistischer. Ein Realismus, der nicht über die eigene Nasenspitze hinausreicht, ist gefährlicher als die unverständigste Phantasterei, weil er blind ist. Aber obgleich ich Jefim alle Gerechtigkeit widerfahren ließ (er dachte wahrscheinlich in diesem Augenblick, ich ginge auf der Straße und schimpfte auf ihn), so gab ich darum doch nicht das geringste von meinen Überzeugungen preis, wie ich es auch heute nicht tue. Ich habe Menschen kennengelernt, die bei dem ersten Eimer kalten Wassers, den sie über den Kopf bekamen, nicht nur von ihren Unternehmungen, sondern auch von ihren Ideen zurücktraten und selbst über das zu lachen anfingen, was sie eine Stunde vorher für heilig gehalten hatten; oh, wie leicht geht ein solcher Meinungswechsel bei ihnen vor! Mochte auch Jefim sogar im Kern der -Sache mehr recht gehabt haben als ich und mochte ich auch dümmer als dumm gewesen sein und nur geschauspielert haben, so befand sich doch in der tiefsten Tiefe der Sache ein Punkt, in welchem auch ich recht hatte; in gewisser Hinsicht war die Gerechtigkeit auch auf meiner Seite, und vor allen Dingen war auf meiner Seite etwas, was diese Menschen niemals begreifen konnten.
    Bei Wassin, an der Fontanka, bei der Semjonowskij-Brücke, war ich beinahe Punkt zwölf Uhr, traf ihn abernicht zu Hause an. Seine Beschäftigung hatte er auf der Wassilij-Insel; nach Hause aber pflegte er zu genau festgesetzten Stunden zu kommen, unter anderm fast immer um zwölf. Da überdies noch irgendein Feiertag war, so hatte ich geglaubt, ich würde ihn bestimmt zu Hause finden; da dies aber nicht der Fall war, beschloß ich, auf ihn zu warten, obwohl ich zum erstenmal bei ihm war.
    Meine Erwägungen waren folgende. Die Sache mit dem Brief über die Erbschaft war eine Gewissenssache, und wenn ich Wassin zum Richter erwählte, so bewies ich ihm eben dadurch die ganze Größe meiner Hochachtung, was ihm natürlich schmeicheln mußte. Selbstverständlich machte mir dieser Brief wirklich schwere Sorgen, und ich war in der Tat der Ansicht, daß die Entscheidung seitens eines unbeteiligten Dritten erforderlich sei; aber doch vermute ich, daß ich auch damals ohne jede fremde Hilfe mich hätte aus der Klemme ziehen können. Und die Hauptsache war: ich wußte das selbst; ich brauchte ja den Brief nur Wersilow einzuhändigen, dann konnte er tun, was er wollte, das war die Lösung der Frage. Selbst in einer solchen Sache als höchster Richter aufzutreten und die Entscheidung zu treffen, wäre sogar ganz falsch gewesen. Wenn ich durch die schweigende Einhändigung des Briefes für meine Person aus der Sache ausschied, so hatte ich schon allein dadurch sofort gewonnenes Spiel, daß ich mich auf einen Standpunkt stellte, der den Wersilowschen bedeutend überragte, denn indem ich, soweit es mich anging, auf alle Vorteile aus der Erbschaft verzichtete (da mir als dem Sohn Wersilows sicherlich etwas von diesem Geld zugefallen wäre, wenn nicht sogleich, so doch später), sicherte ich mir für das ganze Leben das Recht, Wersilows künftige Handlungen von einem höheren moralischen Gesichtspunkt aus zu beurteilen. Mir aber einen

Weitere Kostenlose Bücher