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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Vorwurf zu machen, als hätte ich die Fürsten zugrunde gerichtet, dazu würde auch wieder niemand berechtigt sein, da das Schriftstück keine entscheidende juristische Bedeutung hatte. Das alles überlegte ich mir und machte ich mir vollkommen klar, während ich in Wassins Abwesenheit in seinem Zimmer saß, und es kam mir sogar auf einmal der Gedanke in den Kopf, ich, der ich anscheinend so begierig war, mir von ihm Ratschlägefür mein Verhalten geben zu lassen, wäre einzig und allein in der Absicht zu ihm gekommen, damit er sähe, was für ein edler, selbstloser Mensch ich selbst sei, und damit ich auf diese Weise die gestrige Selbsterniedrigung ihm gegenüber wieder quitt machte.
    Als mir das alles zum Bewußtsein kam, empfand ich einen starken Ärger; trotzdem aber ging ich nicht fort, sondern blieb da, obgleich ich mit Sicherheit wußte, daß mein Ärger von Minute zu Minute wachsen würde.
    Zunächst begann mir Wassins Zimmer sehr zu mißfallen. »Zeige mir dein Zimmer, und ich kenne deinen Charakter«, könnte man wirklich sagen. Wassin wohnte in einem möblierten Zimmer als Untermieter bei Leuten, die offenbar arm waren, aus dem Vermieten ein Geschäft machten und außer ihm noch andere Untermieter hatten. Ich kenne diese engen, nur notdürftig möblierten Zimmerchen, die doch komfortabel scheinen möchten; da steht regelmäßig ein gepolstertes Sofa vom Trödelmarkt, das von der Stelle zu rücken gefährlich ist, ferner ein Waschtisch und hinter einem Wandschirm ein eisernes Bett. Wassin war offenbar der beste, zuverlässigste Untermieter: einen solchen »besten« Untermieter hat unfehlbar jede Wirtin, und dafür wird er auch besonders gut behandelt: es wird bei ihm mit besonderer Sorgfalt ausgefegt und aufgeräumt, eine Lithographie über das Sofa gehängt, ein schwindsüchtiger kleiner Teppich unter den Tisch gelegt. Menschen, die diese muffige Sauberkeit und vor allem diesen respektvollen Diensteifer der Wirtinnen lieben, sind von vornherein verdächtig. Ich war überzeugt, daß Wassin selbst sich durch den Ruf, der beste Untermieter zu sein, geschmeichelt fühlte. Ich weiß nicht warum, aber der Anblick dieser beiden mit Büchern bepackten Tische versetzte mich allmählich in Wut. Die Bücher, die Papiere, das Tintenfaß, alles befand sich in der widerwärtigsten Ordnung, deren Ideal mit der Weltanschauung einer deutschen Wirtin und ihres Dienstmädchens zusammenfällt. Bücher waren in Menge vorhanden, und nicht etwa Zeitungen und Journale, sondern richtige Bücher, – und er las sie augenscheinlich und machte wahrscheinlich, wenn er sich zum Lesen hinsetzte oder sich anschickte zu schreiben, eine höchst wichtige, eifrigeMiene. Ich weiß nicht, aber ich habe es lieber, wenn die Bücher unordentlich umhergeworfen sind; da sieht man wenigstens, daß ihr Besitzer aus der Beschäftigung mit ihnen nicht eine gottesdienstliche Handlung macht. Wahrscheinlich war dieser Wassin gegen einen Besucher außerordentlich höflich, aber gewiß sagte jede seiner Bewegungen zu dem Besucher: »Ich will also jetzt so ein, anderthalb Stunden mit dir zusammensitzen und reden, aber dann, wenn du gegangen sein wirst, werde ich mich wieder an meine Arbeit machen.« Sicherlich konnte man mit ihm ein höchst interessantes Gespräch führen und von ihm viel Neues hören, aber – »ich unterhalte mich jetzt mit dir und will schon dein lebhaftes Interesse erwecken, aber wenn du gegangen bist, dann werde ich Dinge vornehmen, die für mich interessanter sind ...« Und trotzdem ging ich nicht fort, sondern blieb sitzen. Daß ich seines Rates eigentlich gar nicht bedurfte, davon war ich bereits endgültig überzeugt.
    Ich saß schon ungefähr eine Stunde und länger, und zwar am Fenster auf einem der beiden dort stehenden Rohrstühle. Wütend machte mich auch der Umstand, daß die Zeit verging und ich mir noch vor dem Abend eine Wohnung suchen mußte. Ich wollte schon vor Langeweile ein Buch in die Hand nehmen, tat es aber doch nicht: bei dem bloßen Gedanken an eine Zerstreuung verdoppelte sich bei mir das Gefühl des Widerwillens. Über eine Stunde hatte schon die tiefe Stille gedauert, da vernahm ich plötzlich irgendwo ganz in der Nähe hinter der Tür, die durch das Sofa verstellt war, unwillkürlich ein allmählich immer lauter werdendes Geflüster. Es sprachen zwei Stimmen, offenbar Frauenstimmen, das war zu hören, aber die Worte zu verstehen war ganz unmöglich, trotzdem jedoch begann ich aus Langeweile hinzuhorchen. Es

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