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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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gewesen ist, jawohl, obwohl sie damals nicht bei mir war; und wenn ich jemals eine herzensgute Frau gesehen habe, so war es damals deine Mutter. Aber genug davon, das alles ist vorläufig noch Geheimnis; du aber sprichst ohne eigene Kenntnis nur nach, was du von anderen gehört hast.«
    »Der Fürst hat mir gerade heute gesagt, Sie seien ein Liebhaber halbflügger Mädchen.«
    »Das hat der Fürst gesagt?«
    »Ja, und hören Sie, wenn Sie wollen, werde ich Ihnen ganz genau sagen, weshalb Sie jetzt zu mir gekommen sind. Ich habe diese ganze Zeit dagesessen und mich gefragt, welches wohl der geheime Zweck dieses Besuches sein möge, und jetzt glaube ich es endlich erraten zu haben.«
    Er war schon im Begriff hinauszugehen, blieb aber nun stehen und wandte mir erwartungsvoll das Gesicht zu.
    »Vorhin habe ich beiläufig erwähnt, daß Touchards Brief an Tatjana Pawlowna, der unter Andronikows Papiere gekommen war, sich nach dessen Tod in Moskau in Marja Iwanownas Händen befunden habe. Ich sah, wie dabei plötzlich in Ihrem Gesicht etwas zuckte, und habe erst jetzt, als soeben noch einmal ein ganz ebensolches Zucken über Ihr Gesicht ging, den Grund erraten: es schoß Ihnen damals unten der Gedanke durch den Kopf, wenn sich ein Brief aus Andronikows Nachlaß in Marja Iwanownas Händen befindet, warum könne das nicht auch mit einem andern der Fall sein? Und Andronikow konnte doch viele wichtige Briefe hinterlassen haben, nicht wahr?«
    »Und wenn ich jetzt zu dir kam, so wollte ich dich dazu bringen, daß du dich über irgend etwas verplappertest?«
    »Das werden Sie selbst am besten wissen.«
    Er wurde sehr blaß.
    »Auf diese Vermutung bist du nicht allein verfallen; da spürt man die Einwirkung einer Frau. Und wieviel Haß in deinen Worten, in deiner unhöflichen Vermutung liegt!«
    »Die Einwirkung einer Frau? Und diese Frau habe ich gerade heute gesehen! Sie wünschen vielleicht eben deswegen, daß ich beim Fürsten bleibe, damit Sie ihr nachspionieren können?«
    »Ich sehe jedenfalls, daß du auf deinem neuen Wege reichlich weit gehst. Ist das am Ende »deine Idee«? Fahre so fort, mein Freund; du besitzt zweifellos Anlagen zum Detektiv. Wem ein Talent verliehen ist, der muß es zur höchsten Vollendung ausbilden.«
    Er hielt inne, um Atem zu schöpfen.
    »Nehmen Sie sich in acht, Wersilow, machen Sie mich nicht zu Ihrem Feind!«
    »Mein Freund, seine letzten Gedanken spricht in solchen Fällen niemand aus, die behält jeder für sich. Und nun bitte ich dich, mir zu leuchten. Du bist zwar mein Feind, aber doch wohl nicht in dem Grade, daß du wünschen solltest, ich möchte mir das Genick brechen. Tiens, mon ami«, fuhr er fort, während er die Treppe hinunterstieg, »stelle dir vor, ich habe dich diesen ganzen Monat lang für einen guten Kerl gehalten. Du hast eine solche Begierde, einen solchen Durst zu leben, daß, wenn dir ein Leben von dreifacher Länge bewilligt würde, du auch daran noch nicht genug hättest: das steht dir auf dem Gesicht geschrieben; na, und solche Menschen sind meistens gute Kerle. Und nun sieh mal an, wie ich mich geirrt habe!«

IV
     
    Ich kann gar nicht beschreiben, wie sich mein Herz zusammenkrampfte, als ich wieder allein war: gerade als hätte ich mir bei lebendigem Leibe ein Stück von meinem eigenen Fleisch herausgeschnitten! Warum ich auf einmal so wütend geworden war und warum ich ihn so beleidigt hatte, so gewaltsam und so absichtlich, das könnte ich jetzt nicht sagen und damals natürlich ebenfalls nicht. Und wie blaß ergeworden war! Und wie hing es zusammen? Dieses Erblassen war vielleicht der Ausdruck des aufrichtigsten, reinsten Gefühls, des tiefsten Kummers und nicht des Zornes und der Kränkung. Es hat mir immer geschienen, daß es Augenblicke gab, in denen er mich sehr liebte. Warum, warum soll ich jetzt nicht daran glauben, zumal schon so vieles seine vollständige Aufklärung gefunden hat?
    Aber ich war auf einmal wütend geworden und hatte ihn tatsächlich hinausgewiesen, vielleicht infolge des mir plötzlich aufgestiegenen Verdachts, er sei zu mir gekommen, weil er gehofft habe, zu erfahren, ob sich nicht noch andere von Andronikow hinterlassene Briefe in Marja Iwanownas Händen befänden. Daß er diese Briefe suchen mußte und sie suchte, das wußte ich. Aber wer weiß, vielleicht irrte ich mich damals gerade in jenem Augenblick gewaltig! Und wer weiß, vielleicht habe ich selbst durch eben diesen Irrtum ihn in der Folge erst auf den Gedanken gebracht, daß

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