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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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ich furchtbar müde wurde und, als es schon ganz dunkel geworden war, in einem Restaurant etwas aß. Ich war nun endgültig dazu entschlossen, sogleich hinzugehen und Wersilow in eigener Person und allein (ohne alle Erklärungen) den Brief über die Erbschaft zu übergeben; dann wollte ich oben meine Sachen in einen Koffer und in ein Bündel packen und für die Nacht meinetwegen in ein Gasthaus gehen. Ich wußte, daß es am Ende des Obuchowskij Prospektes beim Triumphbogen Herbergen gab, wo man für dreißig Kopeken sogar ein besonderesZimmer bekommen konnte; für eine Nacht wollte ich diese Summe opfern, um nur nicht länger bei Wersilow übernachten zu müssen. Aber als ich schon beim Technologischen Institut vorbeiging, kam mir auf einmal, ich weiß nicht woher, der Einfall, zu Tatjana Pawlowna zu gehen, die dort, dem Institut gegenüber, wohnte. Als Vorwand für diesen Besuch bei ihr benutzte ich mir selbst gegenüber wieder denselben Brief über die Erbschaft, aber mein unbezwingliches Verlangen, zu ihr zu gehen, hatte natürlich andere Gründe, die ich übrigens auch jetzt nicht klarzulegen vermag: es ging in meinem Kopf allerlei bunt durcheinander, von einem »Säugling«, von »Ausnahmen, die zur allgemeinen Regel werden«. Ob ich Lust hatte, mich auszusprechen oder wichtig zu tun oder mich herumzustreiten oder gar zu weinen, – ich weiß es nicht; jedenfalls stieg ich zu Tatjana Pawlowna hinauf. Ich war bisher nur ein einziges Mal bei ihr gewesen, bald nach meiner Ankunft aus Moskau, und zwar mit einem Auftrag von meiner Mutter, und ich erinnere mich noch, daß, nachdem ich hingekommen war und meinen Auftrag ausgerichtet hatte, ich sogleich wieder weggegangen war, ohne mich hingesetzt zu haben, wozu sie mich übrigens auch nicht aufgefordert hatte.
    Ich klingelte, und die Köchin öffnete mir sogleich und ließ mich schweigend in die Wohnung. Die Erwähnung all dieser Einzelheiten ist nämlich notwendig, damit man verstehen kann, auf welche Weise sich ein so verrücktes Ereignis zutragen konnte, das einen so gewaltigen Einfluß auf alles Folgende hatte. Erstens also über die Köchin. Dies war eine boshafte, stupsnasige Finnin, die, wie ich glaube, ihre Herrin Tatjana Pawlowna haßte; diese dagegen konnte sich nicht von ihr trennen, wohl infolge einer Leidenschaft, wie alte Jungfern sie für alte, feuchtnasige Möpse oder immerzu schlafende Katzen empfinden. Die Finnin führte entweder wütende, grobe Reden, oder sie schwieg nach einem Zank wochenlang, um ihre Herrin damit zu bestrafen. Ich mußte wohl einen solchen schweigsamen Tag getroffen haben, denn auf meine Frage, ob das Fräulein zu Hause sei – daß ich diese Frage an sie richtete, darauf besinne ich mich ganz genau –, antwortete sie überhauptnicht und ging schweigend wieder in ihre Küche. Ich nahm infolgedessen natürlich an, daß das Fräulein zu Hause sei, ging in das Zimmer, und da ich dort niemanden fand, so wartete ich, in der Annahme, Tatjana Pawlowna werde sogleich aus ihrer Schlafstube hereinkommen; denn warum hätte mich sonst die Köchin hereingelassen? Ohne mich hinzusetzen, wartete ich zwei, drei Minuten lang; es war schon stark dämmerig, und Tatjana Pawlownas kleine dunkle Wohnung erschien noch unfreundlicher durch die endlose Menge von Kattun, der überall umherhing. Zwei Worte über diese häßliche, kleine Wohnung, damit man die Örtlichkeit kennt, in der sich die Sache abspielte. Infolge ihres eigensinnigen, herrischen Charakters und der alten herrschaftlichen Neigungen konnte Tatjana Pawlowna das Wohnen in möblierten Zimmern nicht leiden und hatte sich diese Parodie von Wohnung gemietet, um nur für sich allein zu leben und ihre eigene Herrin zu sein. Die zwei Zimmer hatten die größte Ähnlichkeit mit zwei aneinandergerückten Kanarienvogelbauern, eines noch enger als das andere; sie lagen im dritten Stock, und die Fenster gingen auf den Hof. Beim Eintreten in die Wohnung kam man zuerst auf einen kleinen, engen Flur, anderthalb Ellen breit; links davon lagen die beiden oben gekennzeichneten Kanarienvogelbauer, und geradeaus, am Ende des Flures, befand sich der Eingang zu der winzigen Küche. Der Kubikraum Luft, den ein Mensch für zwölf Stunden notwendig gebraucht, war in diesen Zimmerchen vielleicht vorhanden, aber kaum mehr. Sie waren schauderhaft niedrig, aber was das Allerdümmste war, die Fenster, die Türen, die Möbel, alles, alles war mit Kattun, mit schönem französischem Kattun behangen oder überzogen und

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