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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Dummkopf; wie kann der ein Spion sein?«
    »Ja, ein kleiner Dummkopf ist er, was ihn aber nicht hindern würde, ein Schurke zu sein. Ich war gestern nur zu ärgerlich, sonst hätte ich mich totgelacht: er wurde ganz blaß, kam herangelaufen, machte Verbeugungen und fing an, französisch zu sprechen. Und in Moskau hatte mir Marja Iwanowna versichert, er sei ein Genie! Daß aber der unselige Brief noch existiert und sich irgendwo an einersehr gefährlichen Stelle befindet, das habe ich aus Marja Iwanownas Gesichtsausdruck geschlossen.«
    »Meine Beste! Sie sagen ja selbst, daß sie nichts in Händen hat!«
    »Das ist es eben, daß es sich doch anders verhält; sie lügt nur, und ich kann Ihnen sagen: mit der größten Meisterschaft! Bevor ich nach Moskau fuhr, hatte ich immer noch die Hoffnung, daß sich vielleicht keine Papiere in der Hinterlassenschaft befunden hätten, aber nun, nun ...«
    »Ach, meine Liebe, man sagt ja doch ganz im Gegenteil, sie sei ein gutes, anständiges Wesen, und der Verstorbene habe sie mehr geschätzt als alle seine anderen Nichten. Gewiß, ich kenne sie nicht näher, aber – Sie hätten sie bezaubern sollen, meine Beste! Jemanden auf Ihre Seite zu bringen, das ist ja für Sie eine Kleinigkeit; sehen Sie, ich bin eine alte Person – aber ich bin ganz verliebt in Sie und möchte Sie am liebsten gleich küssen ... Na, das wäre doch für Sie eine Kleinigkeit gewesen, sie zu bezaubern!«
    »Ich habe es versucht, Tatjana Pawlowna, ich habe es versucht, und ich habe sie sogar wirklich in Entzücken versetzt, aber sie ist sehr schlau ... Nein, sie hat einen sehr festen Charakter, so einen besonderen Moskauer Charakter ... Und denken Sie sich, sie riet mir, mich hier an einen Herrn Krafft zu wenden, den ehemaligen Gehilfen Andronikows; er nämlich wisse vielleicht etwas. Von diesem Herrn Krafft habe ich schon gehört und erinnere mich seiner sogar flüchtig; aber als sie mir von diesem Herrn Krafft sprach, gerade da gelangte ich zu der bestimmten Überzeugung, daß ihr die Sache nicht einfach unbekannt ist, sondern daß sie lügt und alles weiß.«
    »Aber warum denn, warum denn? Doch immerhin, man könnte sich bei ihm erkundigen! Dieser Deutsche, dieser Krafft, ist kein Schwätzer und, wie ich mich erinnere, ein sehr anständiger Mensch – wirklich, man sollte ihn befragen! Nur ist er wohl jetzt nicht in Petersburg ...«
    »Oh, er ist schon gestern zurückgekehrt, und ich bin soeben bei ihm gewesen ... Eben darum bin ich in solcher Aufregung zu Ihnen gekommen, mir zittern noch die Arme und Beine; ich wollte Sie fragen, mein Engel, Tatjana Pawlowna, da Sie doch alle Menschen kennen, ob mannicht wenigstens etwas über seine Papiere erfahren könnte – denn Papiere hat er doch bestimmt hinterlassen –, in wessen Hände die jetzt übergehen. Ob sie am Ende wieder in gefährliche Hände gelangen? Ich bin hergeeilt, um Sie um Ihren Rat zu bitten.«
    »Aber von was für Papieren reden Sie denn?« fragte Tatjana Pawlowna verständnislos. »Sie sagen ja doch, Sie seien soeben selbst bei Krafft gewesen?«
    »Ja, ja, ich bin soeben dagewesen, aber er hat sich erschossen! Schon gestern abend.«
    Ich sprang vom Bett auf. Ich hatte es fertiggebracht, sitzen zu bleiben, als ich ein Spion und Idiot genannt wurde, und je weiter sie in ihrem Gespräch kamen, um so mehr erschien es mir als Ding der Unmöglichkeit, mich zu zeigen. Das war undenkbar! Ich hatte bei mir beschlossen, ganz still sitzen zu bleiben, bis Tatjana Pawlowna ihren Gast hinausbegleitete (wenn das Schicksal zu meinem Glück wollte, daß sie nicht vorher selbst aus irgendeinem Grund in das Schlafzimmer käme), und dann, wenn Frau Achmakowa weggegangen sein würde, dann mochte meinetwegen der Kampf zwischen mir und Tatjana Pawlowna losgehen! ... Aber als ich jetzt diese Mitteilung über Krafft hörte, da ging es mir wie ein Krampf durch den ganzen Leib, und ich sprang vom Bett auf. Ohne an etwas zu denken, ohne etwas zu überlegen und zu erwägen, tat ich einen Schritt vorwärts, hob die Portiere auf und stand nun vor den beiden Damen. Es war noch hell genug, daß sie mich erkennen konnten; ich war blaß und zitterte ... Beide schrien auf. Und wie hätten sie auch nicht aufschreien sollen?
    »Krafft?« murmelte ich, zu Frau Achmakowa gewendet. »Er hat sich erschossen? Gestern? Bei Sonnenuntergang?«
    »Wo bist du gewesen? Wo kommst du her?« kreischte Tatjana Pawlowna und krallte sich geradezu an meiner Schulter fest. »Du hast spioniert? Du

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