Der Jukebox-Mann
eben. Sie nahm einen Zug und blies den Rauch in den Himmel, der mit Sternen bedeckt war.
»Worauf soll ich denn böse sein, Johnny?« Sie nahm noch einen schnellen, nervösen Zug. »Ich hab’s satt, böse auf mich selber zu sein.« Sie lächelte wieder das dünne Lächeln. »Und die anderen haben es satt, dass ich auf sie böse bin. Sie hören nicht mal mehr zu.«
»Ich finde, du solltest … hier aufhören«, sagte er.
Lennart fuhr wieder vorbei. Er winkte. Es war eine lange Runde. Vielleicht hatte sich die Elektronik verselbständigt. Niemand würde aussteigen können.
»Und was soll ich dann machen«, fragte sie, »wenn ich die Show verlasse?«
»Es gibt doch noch andere Dinge.«
»Ich möchte bei der Kunst bleiben«, sagte sie. Die Zigarette fiel ihr aus der Hand, und sie ließ sie liegen und sah wieder zu ihm auf. »Du könntest mir übrigens erzählen, was du in Zukunft vorhast.«
»Ich verstehe nicht, wie du das meinst, Ingrid.«
»Es ist deine letzte Saison, oder? Man sieht es dir an.«
»Bist du die Hellseherin?«
»Du hast es satt, durchs Land zu kutschieren. Ich hab das hier satt.« Sie machte eine Handbewegung über den Platz.
»Es ist nicht … in erster Linie die Bühne, die Show, die verdammten Schweine im Publikum. Das kann man sich … wegdenken, wegträumen. Es ist das Herumreisen, rundherum und rundherum, vor und zurück. Diese verdammte Reiserei und nirgends kommt man an.« Sie nickte zu den Autoskootern. »Wie die da. Fahren rundherum und kommen nirgends an.«
»Wir stoßen nicht so häufig zusammen«, sagte Johnny.
»Leider.« Sie holte wieder die Zigarettenschachtel aus einer Tasche an ihrer Hüfte. Johnny zündete ihre Zigarette an. Die Autos blieben plötzlich mit einem langen Seufzer stehen. Johnny sah Lennart im Auto sitzen bleiben und winken.
»Ich hab dem Jungen noch eine Runde versprochen. Und ich hab versprochen, mit ihm zusammenzustoßen.«
»Dann musst du dich beeilen«, antwortete sie. »Die Skooter sind schnell besetzt.«
»Es dauert nur fünf Minuten«, sagte er.
»Ich hab sowieso schon alles gesagt.« Sie drehte sich um und wollte gehen.
Er sah Lennart wieder winken und auf einen leeren Skooter neben seinem zeigen.
»Bis bald, Ingrid.« Johnny sprang über die Bande und erreichte den Skooter, bevor der Strom wieder eingeschaltet wurde. Lennart rammte ihn direkt von vorn. Der Stoßdämpfer aus Gummi half nichts. Der Zusammenprall war stärker, als Johnny erwartet hatte. Er fuhr rückwärts, geradewegs in den Skooter hinter ihm, und brauchte eine halbe Minute, bis er so weit frei war, dass er anfangen konnte, Lennart zu jagen.
An der Straße, die vom Jahrmarkt in den Ort führte, gab es nur eine Straßenlaterne. Sie nutzte überhaupt nichts, und schon gar nicht an einem Abend, an dem Nebel aus den Feldern stieg. Dahinter versanken die Geräusche des Jahrmarktes. Johnny drehte sich um. Der Markt sah aus wie eine lodernde Stadt, die von einem fremden Stern hier gelandet war. Lennart drehte sich auch um.
»Was für einen Trick hat Mister Swing dir beigebracht?«, fragte Johnny.
»Zum Beispiel, wie man Glühlampen schluckt.«
»Ui.«
»Der Trick besteht darin, dass man sie erst zu Mehl zermahlt.«
»Du hast doch hoffentlich nichts geschluckt?«
»Er hatte gerade nichts, was er zermahlen konnte.«
»Ich glaube, das ist nicht gut für den Magen«, sagte Johnny.
»Vielleicht sollte man erst mal Brot aus dem Mehl backen«, sagte Lennart.
»Und was hast du sonst noch Sinnvolles von ihm gelernt?«, fragte Johnny.
»Tja … man muss sich sehr gerade halten, wenn man das Schwert verschluckt. Das richtige Schwert.«
»Sieh einer an. Eine gerade Haltung hat ihr Gutes.«
»Deswegen meckert Mama auch dauernd mit mir rum«, sagte Lennart. »Ich musste schon üben, mit einem Buch auf dem Kopf zu gehen.«
»Nächstes Mal kannst du es mit dem Schwert im Hals üben.«
»Bei uns zu Hause gibt’s keine Schwerter.«
»Dann übst du es mit der Kohlengabel.«
Lennart lachte.
»Das machst du mir aber erst vor«, sagte er.
»Ich will doch kein Fakir werden.«
Sie gingen jetzt durchs Zentrum, das genauso klein war wie in den anderen Orten des Hochlandes. Lisas Konditorei lag finster da. Die drei großen aufgereihten Fenster sahen von dieser Seite der Straße leer und schwarz aus. Das ganze Zentrum war dunkel bis auf die Straßenlaternen, die in großen Abständen um den Marktplatz angeordnet waren. Keine Autos waren unterwegs, kein V8 grollte. Alle motorisierten
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