Der Jukebox-Mann
Auto herum und zog den Karton heran. »Hier ist noch mehr.«
»Entscheide du.«
Er blätterte zwischen den Platten und wählte eine aus, öffnete die rechte Vordertür, drehte am Radio und schob Blue Moon in den Plattenspieler. Blue Moon, you saw me standing alone. Er schaute zum Haus hinüber, aber dort brannte kein Licht mehr. Der Halbmond hing über allem, schimmernd in seinem alten Blau und Weiß. Elvis jaulte mit schmelzender Stimme in der Nacht, jaulte den Mond an, sein bestes Jaulen, das bis jetzt auf Platte aufgenommen war. Elisabeth war in den Schatten hinter dem Duett stehen geblieben.
»Darf ich bitten?« Er ging die wenigen Schritte auf sie zu.
Sie tanzten auf dem Trottoir, weil das Gras im Park vor dem Haus zu hoch war. Jetzt duftete sie noch stärker nach Vanilleherzen und nach einer Blume, deren Name ihm nicht einfiel.
»Es ist zehn Jahre her«, sagte er.
Bei den Worten zuckte sie zusammen, blieb stehen und sah ihn an.
»Was meinst du, Johnny?«
» Blue Moon «, sagte er. »Es ist genau zehn Jahre her, seit Elvis das aufgenommen hat.«
Sie betrachtete ihn. Sie hielten einander fest, aber auf Distanz.
»Genau zehn Jahre«, sagte sie. »Hast du sie deswegen ausgewählt?«
»Nein, nein, das ist mir erst gerade eben eingefallen.«
»Hmh.«
Der Radiolautsprecher verstummte.
»Darf ich noch einmal bitten?«, fragte er.
»Der letzte Tanz des Abends«, sagte sie.
Sie spielten Blue Moon noch einmal, er hielt sie fest, und nirgends ging Licht an, trotzdem hatten sie das Gefühl, als tanzten sie auf einer Bühne. Er dachte, jetzt fehlt nur noch, dass die Bullen zurückkommen.
Vor elf Jahren.
Sie hatten sich nicht oft getroffen.
Bald darauf war sie mit Bertil gegangen. Wie bald?
Nein, nein, nein, nein, nein, nein.
Nein, nein, nein, nein.
Wieder war Blue Moon zu Ende. Elisabeth machte ein paar letzte Tanzschritte, und ihre Absätze schabten über den Asphalt. Sie waren dick und nicht höher als drei Zentimeter. Der Stoff ihres Rocks berührte seine Fingerkuppen. Der Rock reichte ihr eben halb über die Knie. Johnny nahm einen Schimmer ihrer Beine in den transparenten Strümpfen wahr. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen. Er ließ sie los, ging zum Duett, nahm die Platte aus dem Spieler und stellte das Gerät ab.
»Mir ist kalt«, sagte sie und schlang die Arme um ihre nackten Schultern.
Elisabeth stand in der Türöffnung zu Lennarts Zimmer und schien auf die Atemzüge des Jungen zu lauschen. Johnny stand hinter ihr. Sie drehte sich um.
»Wir gehen ins Wohnzimmer«, sagte sie.
Dort war es dunkel. Das einzige Licht kam aus dem Flur von der Straßenbeleuchtung. Elisabeth setzte sich aufs Sofa, und Johnny ließ sich in dem Sessel ihr gegenüber nieder.
Ihr Gesicht war nur ein dunkles Oval.
»Ich weiß nicht, wie ich es Lennart sagen soll«, sagte sie.
»Was sagen?«
Er sah, wie sich das Oval bewegte. Jetzt konnte er die Gesichtszüge erkennen. Plötzlich bewegte sich das Licht da draußen und änderte die Form der Gegenstände im Raum und ließ ihr Gesicht heller erscheinen. Die Straßenlaterne schwankte und das Licht veränderte sich. Es war windig geworden. Er konnte es nicht hören, aber sehen.
»Was sagen?«, wiederholte er.
»Du weißt schon. Von seinem … Vater natürlich. Das, was du mir heute Abend von Bertil erzählt hast.«
»Ja.«
»Aber ich muss es ja selbst erst mal verstehen. Es ist verrückt. Bist du ganz sicher, dass es Bertil war?«
Ja. Ich hab mich mit ihm geprügelt. Er hat sich mit mir geprügelt.
»Ja, ich hab doch mit ihm gesprochen.«
»Es ist vollkommen wahnsinnig.« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist er bloß für ein Mensch? Wie kann er so was machen?«
»Das hab ich ihn auch gefragt.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Er war … unterwegs«, sagte Johnny. »Er hat sich entschieden. Ich konnte ihn nicht aufhalten.«
»Du hättest die Polizei rufen können.«
»Dazu war keine Zeit.«
»Sie hätten beim nächsten Halt einsteigen können. Man kann doch den nächsten Distrikt anrufen, oder?«
»Was hätten sie denn tun sollen? Man kann doch niemanden zum Aussteigen zwingen, der eine Fahrkarte hat.«
Er räusperte sich, seit der vergangenen Viertelstunde steckte ihm etwas im Hals. »Man müsste ja … ein Verbrechen begangen haben.«
»Ein VERBRECHEN?! Hat er denn kein Verbrechen begangen? Was zum Teufel redest du da, Johnny?«
»Natürlich hat er das. Ich meinte nur rein jurist…«
»ICH hätte in den Zug einsteigen können«, schnitt sie ihm
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