Der Jukebox-Mann
Platz war voller parkender Autos. Die Leute bewegten sich wie ein breiter Strom über die Kreuzung zum Marktplatz hinunter.
»Ich hab nur eine Stunde Zeit«, sagte Elisabeth. »Im Café fängt gleich die rush hour an.«
Sie kamen an den ersten Marktständen vorbei, wo geräucherte Würste, Rentierwurst, Elchwurst, Pferdewurst verkauft wurden. Verkäufer in fleckigen weißen Kitteln schnitten unterschiedlich dicke Scheiben von den Würsten und hielten sie den Vorbeigehenden hin. Neben den geräucherten Würsten hingen geräucherte Aale und geräucherte Maränen.
»Wollen wir eine Wurst kaufen?«, fragte Lennart.
»Igitt nee.« Elisabeth schüttelte sich.
»In diesen Würsten sind keine Rentiere«, behauptete Johnny.
»Ein Glück«, sagte Lennart. »Aber was ist denn drin?«
»Das erzähl ich dir lieber nicht«, sagte Johnny.
»Wir können ja gebrannte Mandeln kaufen«, schlug Elisabeth vor. Sie schaute zu einem langen Stand, an dem ein großes schwarzweißes Schild hing: Hausgemachte Karamellen. In Holzkästen mit aufgeklappten Glasdeckeln lagen Pralinen, Bonbons und Marzipan. Der Stand war in einen süßen Duft gehüllt. Oben unter dem Zeltdach schwirrten Hunderte von Wespen.
»Das ist ja wie in einer Bäckerei«, sagte Johnny.
»Mir reichen hundert Gramm gebrannte Mandeln«, sagte Elisabeth.
»Da ist die Hellseherin«, rief Lennart.
Sie saß vor einem Wohnwagen, der aussah wie die meisten Wohnwagen auf dem Jahrmarkt, und dieses Modell war älter als die schönste Wurlitzer der Welt. Die Hellseherin hatte sich fein gemacht und hielt eine Handfläche hoch, um den Vorübergehenden zu zeigen, dass sie darin etwas finden würde, was sie über die Zukunft wissen wollten.
Sie hörten ihre Stimme: »Soll ich Ihnen die Zukunft voraussagen? Soll ich Ihnen die Zukunft voraussagen?«
Einige Kinder hatten sich vor dem Wohnwagen versammelt und ein Stück abseits standen einige ältere zögernde Männer. Johnny sah, wie einer der Alten den gebeugten Rücken straffte und auf die Zigeunerin zuging, die ihm die Hand reichte. Gemeinsam betraten sie den Wohnwagen und die Tür schloss sich hinter ihnen.
»Glaubt ihr, dass er wieder rauskommt?«, fragte Elisabeth.
»Er kommt wie ein neuer Mensch heraus«, sagte Johnny.
»Dann sollte ich vielleicht auch reingehen«, sagte Elisabeth.
»Nein!«, rief Lennart.
Er sah plötzlich ernst aus.
»Ich hab nur Spaß gemacht, Lennart.« Sie sah Johnny an und dann Lennart. »Ich muss kein neuer Mensch werden.«
»Da kommt er«, sagte Johnny.
Die Hellseherin führte den Alten heraus, der genau wie vorher aussah. Sie drückte seine Hand, er drehte sich um und bewegte sich langsam in Richtung Marktzentrum. Johnny sah, wie sich die Hellseherin ihnen zuwandte und ihre Handfläche hochhielt. Sie standen zehn Meter entfernt.
»Sie hat uns gesehen«, sagte Elisabeth. »Gehen wir.«
»Jetzt kommt sie auf uns zu«, sagte Lennart.
Die Hellseherin glitt zwischen den Menschenmassen und Ständen zu ihnen herüber. Es war eine große Frau, nicht wirklich hoch gewachsen, aber von kraftvoller Statur. Ihre Haare waren sehr schwarz. Sie trug eine Kette aus Gold und Silber. Johnny meinte einen Ring an jedem Finger zu sehen, als sie ihm die Hand reichte.
»Sie sollen mir folgen«, sagte sie.
Sie lächelte nicht, an ihr war nichts, was sie zur Verkäuferin einer Ware machte. Später würde er daran denken, dass nichts Einladendes an ihr gewesen war. Es war ernst.
»Nein, nein«, wehrte er ab.
Hinter ihm kicherte Elisabeth, aber vielleicht hatte sie auch nur plötzlich geniest. Lennart schwieg.
»Sie sollen mir folgen«, wiederholte die Frau mit einer Stimme, die weich und gleichzeitig hart war. Auch ihre Augen waren gleichzeitig hart und weich. Sie hatten nichts Arglistiges.
Er sah Elisabeth an.
»Ich hab wohl keine andere Wahl«, sagte er.
Im Wohnwagen roch es nach etwas, das er nicht kannte, ein würziger, nicht unangenehmer Geruch. Er saß auf einer schmalen Bank, die mit rotem Samt bezogen war, und die Hellseherin hielt seine Hand in der ihren.
Sie studierte die Linien in seinen Handflächen. Nicht alles waren Linien, es gab auch Narben, die wie eigene Linien durch die Hand liefen. Plötzlich machte er sich Sorgen, seine Linien könnten zu kurz sein, es gab ja etwas, das man Lebenslinie nannte, vielleicht erkannte sie, dass seine nicht lang genug war, und sie würde es ihm sagen und er würde ihr glauben.
Sie schaute ihm in die Augen, dann wieder auf die Handfläche. Ihn
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