Der Jukebox-Mann
draußen und hier drinnen.
Er beantwortete ihre Frage nicht. Es war keine Frage.
»Ich möchte mitkommen«, sagte sie und umarmte ihn noch fester. »Aber manchmal habe ich das Gefühl, als hätte ich nicht mal den Mut, die Wohnung zu verlassen.«
»Das hast du mir noch nie erzählt.«
»Früher kannte ich das Gefühl nicht. Aber jetzt … nach all dem … und dem mit Bertil …«
Er wartete darauf, dass sie weitersprach. Die Dämmerung sickerte jetzt in den Raum, ein matter silbriger Schimmer. Er konnte es fast riechen. Und von Elisabeth nahm er einen Duft nach Vanille wahr. Er spürte ihren Körper an seinem, ihren ganzen Körper durch Mark und Bein.
»Er ist ja da draußen«, sagte sie. »Irgendwo da draußen ist er.«
»Macht dir das Angst?«
»Nein. Aber vielleicht habe ich … ein schlechtes Gewissen.«
»Warum?«
»Ich hätte mehr tun können. Hätte nach ihm suchen können, herumtelefonieren. Mehr fordern. Ich weiß es nicht.«
»Er ist doch abgehauen, Elisabeth.«
Sie antwortete nicht. Der Griff um ihn lockerte sich. Sie öffnete die Hände. Als ob die Gebetsstunde vorbei wäre. Morgenandacht. Ihm schoss durch den Kopf, dass er noch nie in einer Kirche gewesen war. Nie. In einer richtigen Kirche. Er war in ein paar Zeltbegegnungen geraten, war einfach hineingetaumelt. Aber nie in eine Kirche. Vielleicht gab es Gott dort doch? Hatte er an falschen Orten gesucht?
»Er will nicht gefunden werden«, sagte er.
»Vielleicht ist er in diesem Motel«, sagte sie.
»Traust du dich deshalb nicht zu fahren?«
»Nein, dann müsste ich ja erst recht mitkommen, nicht?«
»Bertil ist weit weg«, sagte Johnny.
Sie ließ ihn los. Plötzlich fror er. Ihr Körper war wie ein Schutz gegen die kalte Dämmerung gewesen. Er drehte sich um. Sie stand mit hängenden Armen hinter ihm. Ihr helles Nachthemd war durchsichtig, der dünne Stoff floss mit dem Licht im Raum zusammen.
»Ich … hoffe es«, sagte sie und brach in Tränen aus.
Er streckte eine Hand aus. Sie schaute auf.
»Ist es nicht schrecklich, so was zu sagen? Wie kann man bloß?«
»Er … hat dich wahrscheinlich einmal zu viel geschlagen«, sagte Johnny.
»Ich hab nur an … Lennart gedacht.« Sie wischte sich über die Augen.
»Ihn hat er vermutlich auch geschlagen.«
»Habe ich das gesagt?«
»Ich habe es begriffen«, sagte Johnny.
Sie wischte sich wieder über die Augen und schluchzte zweimal auf.
Es gab noch etwas, was er sie fragen wollte. Aber für den Moment war es genug, für diese Dämmerung.
»Komm, wir legen uns noch eine Weile hin«, sagte er.
Der Morgen war grau, als ob die Dämmerung gar nicht weichen wollte. Im Duett roch es immer noch nach Dämmerung und Motoröl. Johnny sah Lennarts klare Augen im Rückspiegel. Er sah seine eigenen. Sie waren auch klar, so klar wie schon seit Jahren nicht mehr.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Elisabeth. Sie trug eine rote Strickjacke über der Bluse. Die Morgenluft war immer noch kühl, herbstkühl.
»Das ist die ganze Karre«, sagte Johnny, »die scheppert.«
»Könntest du dir nicht ein anderes Auto anschaffen, Johnny?«
»Ist das eine Frage?«
»Nein. Du hast dies Auto ja schon immer gehabt, nicht? Solange ich dich kenne, hast du dieses Auto.«
»Das stimmt nicht. Ich hab es schon viel länger.«
»So hab ich es doch gemeint.«
»Meinst du, es gehört zur Familie?«
»Das hast jetzt du gesagt.«
»Hat der Duett einen Namen?«, fragte Lennart vom Rücksitz. »Also einen anderen Namen als die Automarke?«
»Nein.«
»Wollen wir ihm einen Namen geben?« Johnny sah Lennarts klare Augen näher kommen, als sich der Junge über den Sitz beugte. »Wollen wir uns nicht einen Namen ausdenken?«
»Okay.« Johnny drehte den Kopf. »Wer hat einen Vorschlag?«
»Garrincha!«, rief Lennart.
»Wer ist das?«, fragte Elisabeth und drehte sich zu Lennart um.
»Ein brasilianischer Fußballspieler.«
»Gute Idee, dann nehmen wir Garrincha«, sagte Johnny.
»Ist dir das recht, Elisabeth?«
»Ja … aber sie kann ja auch noch einen zweiten Namen kriegen.«
»Sie?«
»Ist es keine Sie?«
»Doch … vielleicht.«
»Elisabeth!«, rief Lennart. Johnny schaute wieder in den Rückspiegel. »Ach nee, lieber nicht.« Plötzlich sah Lennart verlegen aus.
»Garrincha Elisabeth?«, überlegte Johnny laut.
»Elisabeth Garrincha«, schlug Elisabeth vor.
»Gut, so soll es also sein«, sagte Johnny.
22
Die Sonne war hinter Wolken verschwunden, als Johnny vor dem Motel parkte. Zu
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