Der Jukebox-Mann
Er vermutete, dass Eskil meistens bei seinem Vater wohnte. Irgendwann einmal vor langer Zeit hatte es eine Frau Skörd gegeben. Eskil musste auch einmal ein kleiner Junge gewesen sein, aber das war schwer vorstellbar. Genauso schwer vorstellbar war es, dass Johnny Bergman einmal ein kleiner Junge gewesen war. Nein, anders. Nicht der kleine Junge war schwer vorstellbar, aber dass er ein Mann geworden war. Ein Mann mit einem Job. Dass er etwas gelernt hatte, es geschafft hatte, wie man so sagte. War er auch in einem Ring von Stille eingeschlossen?
Gösta Skörds Silhouette bewegte sich in dem grauen Licht aus der Küche.
»Gut, dass du kommst, Bergman.«
Johnny nickte. Er wusste nicht, ob der Alte es sehen konnte.
»Kommt rein«, sagte Gösta Skörd.
Sie folgten ihm in die Küche.
»Ich hol die Kiste.«
Er schlurfte davon und kam eine Minute später zurück. Eskil hatte währenddessen ein Glas Wasser getrunken. Er hatte es erhoben, als wollte er mit Johnny anstoßen, aber Johnny wollte nicht anstoßen. Er wollte nicht an Alkohol denken. Eskil sollte ruhig allein trinken. Das Wasser im Glas sah aus wie Schnaps, es hatte dieselbe Durchsichtigkeit. Gösta Skörd war mit einem Schuhkarton zurückgekommen. Er stellte ihn auf den Tisch und hob den Deckel ab.
»Ich weiß ja nicht, ob es was wert ist«, sagte er und sah Johnny an. »Ich hab gedacht, du kannst mir vielleicht sagen, ob ich was dafür kriege.«
»Was ist das?«, fragte Johnny und trat näher. Gösta Skörd schob ihm den Karton zu. Er schien sehr leicht zu sein.
»Ich hab jede Einzelne aufbewahrt«, sagte Gösta Skörd.
Johnny blickte in den Karton. Er wusste nicht recht, was er da sah. Vielleicht sah er, was es war, begriff es aber nicht.
»Es sind zwölfhundertachtzehn Stück«, sagte Gösta Skörd. »Alle, die ich gezogen habe.«
»Was … ist das?«, fragte Johnny.
»Meine Lose«, sagte Gösta Skörd, und in seiner Stimme war so etwas wie Stolz. »Alle meine Nieten.«
»Nieten?« Johnny schaute wieder in den Karton, blickte dann zu Eskil, der mit hochgezogenen Augenbrauen seinen Vater ansah.
»Das sind alle Lose, die ich je gezogen habe. Ich hab sie alle aufbewahrt«, sagte Gösta Skörd. »Jedes einzelne.«
Die Röllchen hatten die blasse Farbe, die Lose immer haben, gelb und blau und rosa, der Unterschied war kaum zu erkennen.
»Zwölfhundertachtzehn«, sagte Gösta Skörd. Seine Stimme klang feierlich. »Ich hab die Zahl vorsichtshalber aufgeschrieben.«
»Lauter Nieten?«
Johnny wollte den Schatz nicht berühren. Er musste berührt worden sein, da der Alte die Lose gezählt hatte, aber er wollte keins anfassen.
Gösta Skörd nickte.
»Ich hab in meinem ganzen Leben nie etwas gewonnen.«
Er sah seinen Sohn wie um Bestätigung heischend an. »Nie was gewonnen.«
Eskil sah Johnny mit einem Blick an, als sei es bald Zeit für die Schätzung. Johnny wurde langsam klar, dass auch der Sohn hoffte, es handle sich um etwas Wertvolles.
»Nur Nieten«, sagte Gösta Skörd. »Ich hab nich’ mal ’ne beschissene Konservenbüchse gewonnen.« Er schaute Johnny an und wieder zum Karton und dann wieder Johnny, hin und her. »In diesem Karton liegt viel Geld.« Er guckte seinen Sohn an, der nickte. »Und viele dieser Lose stammen von Kiosken, die es nicht mehr gibt.«
»Den bei EPA zum Beispiel«, sagte Eskil. Der Alte nickte.
»Was sagst du, Bergman?«
»Wo…zu?«
»Zu den Losen natürlich. Krieg ich was dafür?«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe, Herr Skörd.«
»Verstehen? Verstehen? Was meint er damit?« Gösta Skörd schob den Karton näher an Johnny heran, als ob er ihn dann besser sehen und verstehen würde. »Ich will doch bloß wissen, was die wert sind!«
»Sie wollen … den Sammlerwert wissen?«
»Du triffst unterwegs doch viele Leute«, sagte Gösta Skörd, »und die Leute sammeln so viel, da muss doch einer auch so ’ne große Sammlung haben wollen?«
Johnny fuhr Eskil zum Marktplatz zurück. Die Hälfte des grasbewachsenen Abhangs zum Fluss hinunter war von der Sonne beschienen. Zwei Männer standen auf der Brücke und angelten. Einer von ihnen steckte gerade einen Wurm an den Haken.
»Nett von dir, dass du dich wegen der Sammlung umhören willst«, sagte Eskil und setzte einen Fuß auf die Straße. »Das weiß mein Alter zu schätzen.«
Manchmal ist eine Lüge nötig, dachte Johnny. Er hatte Gösta Skörds Gesicht gesehen und die Sammlung im Schuhkarton in seinen Händen. All die Arbeit, die er vor
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