Der Jukebox-Mann
hineinsinken und schloss die Augen. Auf der anderen Seite der Wand murmelte ein Radio, es könnte der Wetterbericht sein, die Nachrichten, ein Quiz. Er hörte einen Fetzen Musik.
Als er sich abtrocknete, war der Juckreiz noch da. Das Handtuch war dünn und fast durchscheinend. Es roch stark nach Reinigungsmitteln, vielleicht Petroleum, Phosphor. In dem Zimmer, das Sjögren als Rezeption benutzte, hatte er ein Paket Reinigungsmittel für Motoren gesehen. Auf dem einzigen Regalbrett im Bad stand ein Karton Waschmittel. Drei Fliegen krochen auf der Lampe herum, die wie ein schwacher Vollmond über dem Spiegel schimmerte, in dem er jetzt sein Gesicht betrachtete.
Zurückgekehrt in sein Zimmer zog er eine frische Unterhose und ein sauberes Nylonhemd an, das er in die Jeans stopfte. Barfuß ging er in den Flur, an dessen hinterem Ende ein Telefon stand.
Er lauschte auf die Signale, ein-, zwei-, drei-, vier-, fünf-, sechsmal.
Wieder in seinem Zimmer legte er sich aufs Bett und studierte die Decke. Er war ein Experte in Sjögrens Decken. Ihm fiel ein, dass er morgen ein Geschenk für Lennart kaufen wollte. Vielleicht ein Auto, vielleicht einen Ball. Johnny wusste, dass Sjögren morgen früh nicht mit Torte und Kaffee singend in sein Zimmer kommen würde. Er drehte sich auf die Seite und sah die schrägen Strahlen der Abendsonne auf den großen Wecker fallen, der auf dem Nachttisch stand. Der Wecker glühte plötzlich wie Gold und Silber. Wieder spürte er den Juckreiz im Körper. Er schloss die Augen, aber das Jucken verschwand nicht, und er seufzte, hörte sich selbst seufzen. Er richtete sich auf, zog Stiefel und Jackett an und ging hinaus. Draußen war es warm, die Luft war schwer, er wandte sich nach links und wusste schon jetzt, dass es Schritte waren, die er eigentlich nicht gehen wollte.
5
Die Anschlagtafel war voller Mitteilungen, eine Schicht über die andere geklebt. Niemand hatte etwas abgerissen. Hier klebten mindestens fünf Zentimeter Plakate übereinander. Er drückte den Daumen in die oberste Schicht, die weich nachgab. Wie weit zurück reichten sie? Drei Jahre? Fünf Jahre? Zehn? Hundert? Hier war die Geschichte des Ortes gesammelt. Plötzlich hatte er Lust, alles abzureißen, um zu sehen, was es ganz zuunterst gab. Welche Geschichte die erste gewesen war.
Der oberste Anschlag warb für den Dienstagstanz. Ein gewisser Weine würde spielen. Er kannte diesen Weine nicht. Das war ein anderer Weine, nicht der Fairlane-Weine. Ein Foto von dem Mann gab es nicht. Da stand nur, er sei durch die Top-Ten-Liste bekannt, und das war eine Lüge.
Johnny sah sich um und versuchte sich immer nur auf eine Sache zur Zeit zu konzentrieren, und zwar langsam. Das war ein Trick, den er manchmal anwandte, wenn er an etwas anderes denken wollte als an Alkohol, wonach sein Körper schrie. Ich versuche es. Ich kann hier stehen und das ganze Programm der Missionskirche lesen, jede verdammte Singstunde. Abendkaffee im Sommerheim, das Abendgebet mit Pastor Björk. Gottes wunderbare Schöpfung, las er. Wer war das? Pastor Björk? Der Ort? Der Sommer? Die Jukebox? Gott hatte die Jukebox nicht erschaffen. Er hatte Johnny nicht erschaffen. Ich will nicht dran denken. Deswegen stehe ich hier. Ich will an den Fluss denken, der unter der Brücke dahinfließt, auf der jetzt zwei Jungen mit Angeln stehen, als ob die beiden Männer, die heute Mittag dort gestanden haben, wieder Kinder geworden wären. An die beiden schönen Ahorne denken, die auf der Insel mitten im Fluss stehen. An die Würstchenbude, die ein hübsches Schild bekommen hat. An diese Jungen im Volvo PV, die vermutlich auf den Dienstagstanz warten. An den Chevrolet, der in diesem Moment vorbeizieht, ein Bel Air von siebenundfünfzig oder achtundfünfzig. An den Abend, der sich auf alles gesenkt hat, ohne dass es jemand bemerkt hätte.
Jemand rief seinen Namen. Er löste den Blick vom Himmel.
Eskil Skörd kam mit einer alten Stofftasche, die eine unbestimmte Farbe hatte, vom Kiosk auf ihn zu.
»Auch unterwegs, Bergman?«
Er antwortete nicht. Der Chevrolet, der eben vorbeigefahren war, donnerte zum Marktplatz hinter Eskil. Jemand pfiff schrill. Johnny hörte Lachen aus dem Auto. Er sah ein Gesicht. Das Gesicht schrie etwas, und das klang wie Eskils Name.
»Kümmre dich nicht um die«, sagte Eskil.
»Sind die von hier?«, fragte Johnny.
»WEM HAST DU DENN HEUTE INS OHR GE-SCHNITTEN, SCHNEIDER?«, übertönte eine besoffene Stimme das Grollen des Motors. Eine Frau
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