Der Jukebox-Mann
das Gewehr hin.«
Jemand drückte gegen seinen Rücken. Er sah sich um und stellte fest, dass es der Schießstand war. Er stand vor der Bude, das Luftgewehr in der Hand. Um ihn herum waren Leute. Jemand griff nach dem Gewehr.
»Du könntest ja jemanden treffen, verdammter Idiot!«
Das Gesicht flatterte vor und zurück, jetzt war es über ihm. Ganz hoch dort oben war es jetzt schwarz, da war nur noch der Weltraum. Er hob die Hand, um das Gesicht zum Stillhalten zu zwingen, bekam aber nur Weltraum zu fassen.
Das Gewehr war verschwunden. Jemand hatte es ihm abgenommen und versteckt.
»Komm, wir gehen«, sagte Eskil. Den erkannte er, als er ihn am Arm zog und sich über ihn beugte. Eskils Gesicht war nicht so weiß wie die anderen Gesichter. »Steh jetzt auf, Bergman.«
Er versuchte sich zu erheben, aber der Boden unter ihm wurde plötzlich zu einer Wand. Er stemmte sich gegen die Wand, aber da war es wieder ebene Erde geworden. Als er erneut versuchte aufzustehen, riss ihm jemand den Boden unter den Füßen weg und richtete die Wand auf, er tastete danach und überlegte, wie lange die Scheißkerle das noch mit ihm treiben wollten.
Er spürte Hände unter den Achseln, hörte Stimmen.
»Wir legen ihn ins Gras.«
»Der kommt bald wieder zu sich.«
»Irgendjemand hat eben nach ihm gefragt.«
»Wer?«
»Ich weiß nicht. Jemand, der ihn verdreschen wollte, glaub ich.«
»Hier hinter den Baum. Hier kann man ihn durch die Zweige nicht sehen.«
»Leg ihn auf die Seite.«
»Hat er gekotzt?«
»Nein.«
»Dann tut er’s bald.«
»Nein, sonst hätte er das längst getan.«
Er hörte einen Laut wie ein Lachen, das sich von ihm entfernte. Er wollte sagen, dass er auf der anderen Seite liegen wollte, aber er konnte seine eigene Stimme nicht hören, also konnte er auch nicht verlangen, dass ihm jemand zuhörte. Im Hintergrund waren Geräusche, es klang wie Musik. Hier roch es nach Erde und etwas Feuchtem, ein feuchter Geruch. Was könnte das sein? Er sah sich einen Weg entlanggehen und dann über ein Feld, und er wusste nicht, ob es ein Traum oder eine Erinnerung war. Selbst als er darüber nachdachte, intensiv nachdachte, fand er nicht heraus, woher das Bild kam.
Die Musik war noch da, lauter und näher. Er richtete sich ohne Stütze auf. Von dort unten kam Stimmengewirr. Er blinzelte und sah die Lichter vom Eingang. Leute bewegten sich wie Schatten auf der Tanzfläche. Er hörte Gelächter und Geschrei.
Ihm war, als kehrte er von einer Reise zurück, ohne sich daran zu erinnern, was er getan hatte oder wo er gewesen war.
Scheiße, das haute um. Er hatte den zweiten Klaren bei Eskil zu Hause getrunken, und etwas in dem Klaren hatte ihn zu dem Dienstagstanz geführt.
Er hatte einen widerlichen Geschmack im Mund und tastete nach den Zigaretten, die er nicht hatte. Am Zaun hinter ihm stand eine Laterne. In ihrem blassen Schein entdeckte er Flecken auf seinem Hemd, die sich an der Seite schräg nach unten zogen. Er zerrte es aus der Hose und roch an den Flecken und nahm einen Geruch von Erde wahr. Im gelben Lichtschein sah er die Erde, auf der er gelegen hatte, und die Erde an den Lederstiefeln, den Hosenbeinen.
Er stand schwankend auf und versuchte die angetrockneten Klumpen abzuwischen. Ob es gelang, konnte er nicht sehen. Als er sich bückte, verlor er das Gleichgewicht und glitt wieder zu Boden.
Zwischen ihm und dem Abhang zum Festplatz stand ein großer Baum. In der Ferne sah er Bewegungen und flimmerndes Licht zu beiden Seiten des Baumstamms. Jemand hatte ihn hierher gelegt, aber er konnte sich nicht erinnern, wer, nicht jetzt. Morgen würde es ihm vielleicht wieder einfallen, oder war heute schon morgen? Er versuchte zu erkennen, wie spät es war, schaffte es aber nicht. Morgen durfte gern noch warten. Die Wäsche, die Kleidung, der Geschmack im Mund, das Dröhnen im Kopf, das Saugen im Magen. Und dann das Frühstück, die Arbeit, die Fahrten, die Cafés, die Gespräche, das Gelaber, das Scheißgerede, nein, es war nicht nur Scheißgerede, aber im Augenblick war ihm alles Scheißgerede. Er war ein Scheißdreck. Aus Scheiße bist du gekommen, Scheiße sollst du wieder werden.
Elisabeth und Lennart. Jetzt waren ihre Gesichter da. Er hatte versprochen, sie heute Abend zu besuchen, an diesem Abend, der bald kommen würde. Gefeiert hatte er schon. Eine nette Feier? War der Abend so geworden, wie er es sich beim ersten Glas gewünscht hatte? Den Nachgeschmack hatte er immer noch im Mund.
Am Abhang
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