Der Jukebox-Mann
So wenig Phantasie habe ich. Und zweitens werde ich sie ja doch nie sehen.« Sie stand plötzlich auf. »Leute wie ich kommen nie in die große Welt hinaus. Wir bleiben an Orten wie Lisas Café hängen.«
»Das ist nicht das Schlechteste«, sagte er.
»Das hab ich doch auch gar nicht gesagt.« Sie drehte sich heftig zur Anrichte um, als beabsichtige sie einen plötzlichen Sprung. »Ich werde wohl bleiben.« Sie drehte sich wieder um und sah ihn an. Durch das Fenster fiel ein Lichtsplitter des Morgens und traf ihr Auge, in dem es grau aufblitzte. »Du kannst jeden Tag wegfahren, aber ich muss hier bleiben.«
»Ich komme doch zurück«, sagte er. »Jedes Mal.«
Sie antwortete nicht, trug die beiden Tassen zur Spüle.
»Ich komme hier auch nie weg«, sagte er. »Und ich weiß nicht, ob es besser ist, Monat für Monat dieselbe große Runde zu fahren. Es ist ja nicht mehr als eine … Runde, nur ein Kreis.« Er versuchte zu lachen. »Das ist wahrhaftig nicht die große Welt.«
»Warum machst du es dann?«
»Weil es mein Job ist«, sagte er.
»Es gibt andere Jobs.«
»Es gibt andere Orte«, sagte er, »und Städte. Manche sind weit weg. Dorthin könntest du ziehen.«
»Nein«, sagte sie, »das könnte ich nicht, selbst wenn ich es wollte. Und ich will nicht. Ich glaube auch nicht, dass Lennart es will. Aber im Augenblick bin ich mir nicht sicher. Vielleicht will er hier weg.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, und ihre Augen wirkten müder. »Ich weiß es nicht.«
»Hast du ihn gefragt?«
»Nein. Natürlich hab ich das nicht.«
Der Duett war von der Sonne aufgewärmt, als sie zu Moréns Urlaubsparadies hinausfuhren. Lennart hatte gefragt, und Johnny hatte ihn vorn sitzen lassen. Der Junge zeigte auf einen Bauernhof, als sie auf halbem Weg zum See durch ein kleines Dorf kamen. Die Scheune brauchte ein neues Dach. Der Hofplatz war mit Stroh bedeckt, und Hühner liefen darin herum. Neben einem leeren Hundezwinger rostete eine Egge vor sich hin. In einer grob zusammengezimmerten Garage stand ein Traktor, halb drinnen und halb draußen, als ob der Bauer unschlüssig gewesen oder etwas passiert wäre.
Johnny drehte das Autoradio lauter. Die Nachrichten brachten gerade die letzten Neuigkeiten von der Grubenkatastrophe in Frankreich. Der strömende Regen hatte die Einsturzgefahr verstärkt, und deswegen waren die Rettungsarbeiten eingestellt worden.
Lennart hörte aufmerksam zu.
»Sie glauben, dass zehn noch am Leben sind«, sagte er.
»Ja.«
»Stell dir das bloß mal vor, in einer Grube eingeschlossen zu sein.«
Ja. Das war schlimmer, als in diesem Ort festzusitzen. Johnny bog an der Kreuzung zum Badeplatz ab. Er dachte an das morgendliche Gespräch mit Elisabeth. Es gibt Dinge, die sind schlimmer, als hier zu leben. Aus dem Grubenloch konnte man nicht einfach wegfahren. Und schon gar nicht in einem Duett.
»Die Kinder telefonieren mit ihnen.« Lennart lauschte konzentriert den Radionachrichten. Er drehte sich zu Johnny um. »Da gibt es ein besonderes Grubentelefon! Und es gibt ein Rohr, durch das sie den Leuten was zu essen runterschicken.«
Johnny sah den Jungen an. Lennarts Gesicht war offen und hell und erregt von dem Drama in Frankreich.
Telefon zu den Vätern. Herr im Himmel. Sein eigener Vater war seit einem halben Jahr verschwunden, und der Junge hatte keine Möglichkeit, mit ihm zu sprechen, weder am Telefon noch sonst irgendwie. Wo zum Teufel steckte Bertil? Liegt er unter der Erde? Oder ist der Kerl einfach aus diesem Ort, aus diesem Land abgehauen?
»Es geht bestimmt gut aus«, sagte Johnny.
»Schaffen sie es?«
»Es geht gut aus«, wiederholte Johnny.
Sie rollten auf die unebene Fläche von Moréns Urlaubsanlage. Dort stand nur ein einziges Auto, Moréns Dodge. In der Nähe des Fahrradständers waren ein paar Jungenräder abgestellt, jedoch nicht in den Ständern. Johnny sah die Jungen vom Steg ins Wasser springen. Einige wenige Menschen lagen auf Decken am Hang zum Wasser hin. Die Saison war bald vorüber, der Urlaub war für viele schon vorbei. Die meisten Männer der Gegend waren zu ihren Arbeitsplätzen zurückgekehrt. Johnny sah zwei junge Frauen mit kleinen Kindern auf Decken liegen. Er hörte Geschrei vom Steg, wo die Jungen versuchten, sich gegenseitig ins Wasser zu schubsen.
»Möchtest du nicht baden, Lennart?«
»Was machst du so lange?«
»Tausch ein paar Platten in der Jukebox im Café aus. Und klau mir mein Geld von Morén.«
»Wenn es dein Geld ist, brauchst
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