Der Jukebox-Mann
»Es gibt eine Schweinerei, wenn du sie vergisst.«
Sie drehte sich um, hob den Topf an und tauchte vorsichtig einen Finger in die Milch. Dann stellte sie den Topf zurück. Die Gasflamme leckte mit einer blauen Zunge an dem dünnen Metall.
»Ich hab die Sahne vergessen«, sagte sie und holte ein Kännchen aus dem Kühlschrank. Die Sahne hatten sie gestern Abend zum Kaffee gehabt. »Du mischst den Kakao mit Zucker und ein wenig Sahne in der Tasse, und dann gießen wir die Milch darüber.«
In der Ferne ertönte wieder das schwache Geräusch eines Zuges, es war, als passiere der Zug den Ort, um ihm in der Morgendämmerung eine Nachricht zu bringen. Johnny hörte die Dampfpfeife und dachte, dass dies sicher die allerletzte Saison der alten Lok war. Für die alten Biester gab es keinen Platz mehr. Jetzt konnte er die Waggons deutlich hören, offene scheppernde Güterwaggons, eine Kette, die im Wind schlug. Man hörte die Züge selten, wenn man nicht direkt an den Bahngleisen stand, nicht mal die Geräusche von Eisen, aber in der Morgendämmerung wurden alle Geräusche deutlicher, auch aus der Ferne.
»Du kannst mir gern … erzählen.« In letzter Sekunde hob Elisabeth den Topf vom Herd. Die Milch schäumte in einer Dampfwolke bis in Höhe des Topfrandes auf. »Wie es gewesen ist.« Sie stellte den Topf auf einen Untersatz. »Du weißt schon.«
»Ein andermal«, sagte er und mischte Kakao und Zucker zu einem braunen Sand, goss die Kaffeesahne dazu, die aus dem Sand Matsch machte. »Du hast selbst genug Probleme.«
»Was meinst du damit?«
»Ich werde doch nicht …«
Er unterbrach sich. Ein paar Häuserblocks entfernt bellte ein Hund. Auch das Gebell war sehr deutlich zu hören, man musste sich überhaupt nicht anstrengen. Plötzlich brach es ab, als ob jemand den Ton bei einem Philips abgestellt hätte.
»Meinst du, ich kann nicht zwei Sachen gleichzeitig im Kopf haben?«, fragte sie.
»Man sollte nicht mehr als ein Problem im Kopf herumwälzen«, sagte er. »Ich will nicht auch noch meins dazupacken.«
»Aber ich hab dich doch gefragt.« Sie goss Milch in seine Tasse, und aus dem Matsch wurde Schokoladenmilch. »Du redest Unsinn.«
»Dafür bin ich bekannt«, sagte er.
»Ich hab das Gegenteil gehört.«
Er versuchte an dem Kakao zu nippen, aber er war noch zu heiß.
»Dass du gut darin bist, dir den Unsinn der anderen anzuhören«, fuhr sie fort. Sie stand immer noch über ihn gebeugt mit dem Topf in der Hand. Er nahm ihren Duft wahr, aber vielleicht war es auch der Duft nach Milch und Kakao.
»Ich glaube, jetzt kann man den Kakao trinken.« Er kostete. Der Kakao war süß und schmeckte irgendwie freundlich.
Sie schien noch etwas sagen zu wollen, behielt es aber für sich und setzte sich ihm gegenüber und pustete über ihren Kakao.
»Der schmeckt gut«, sagte er.
Sie schaute auf. Er sah, was sie dachte, und sie hatte Recht. Er konnte besser zuhören als über sich selbst reden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Und meistens hatte er auch niemanden, mit dem er sprechen konnte.
»Möchtest du ein Butterbrot?«, fragte sie.
Er schaute auf die Uhr. Es war fast Morgen. Er hörte ein Geräusch vorm Fenster, ein dünner, metallischer Ton, vielleicht ein Fahrrad, das abgestellt wurde. Die Haustür wurde geöffnet. Es war wohl der Zeitungsbote. Der Tag hatte begonnen.
»Ja … lass uns jetzt frühstücken«, sagte er. »Da kommt ja auch schon die Zeitung.«
»Nicht zu mir«, sagte sie.
Er nickte. Es war, wie es war.
»Ich hätte gern eine Zeitung«, fügte sie hinzu, »aber die ist zu teuer. Lennart fragt auch manchmal danach. Er möchte wissen, was auf der Welt passiert.«
»Vielleicht hätte ich ihm statt der Eisenbahn ein Abo für die Tageszeitung schenken sollen.«
»Du hast ihm das schönste Geschenk gemacht«, sagte sie.
»Ich weiß nicht.« Johnny sah wieder aus dem Fenster, als er hörte, wie der Zeitungsbote sein Fahrrad nahm. »Er lernt doch nichts, wenn er neben einer Modelleisenbahn sitzt.«
»Natürlich lernt er was«, widersprach sie. »Jetzt kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen, wenn er mit dem Zug in die große Welt hinausfährt.« Sie lächelte. »Er hat viel Phantasie.«
»Und du, Elisabeth?« Er rührte mit dem Teelöffel in der Tasse, unten war noch Kakao, der sich nicht richtig aufgelöst hatte. Danach schmeckte es noch besser. »Machst du dir Phantasiebilder von der Welt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Erstens weil ich nicht weiß, was das ist, die große Welt.
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