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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Nacht einmal ins Arbeitszimmer gekommen, um EINE EINFÜHRUNG IN DIE LEGENDEN UND ÜBERLIEFERUNGEN VON SELKIE ISLAND zu lesen? Mom? Ihre Geschwister? Isadora höchstpersönlich? Hatte sich einer von ihnen von Llewellyn Thorpes Worten hinreißen lassen?
    Ein unvernünftiger Teil von mir wollte weiterlesen, um noch mehr herauszufinden. Doch ich wusste, dass es eine dumme Idee war – es gab nichts Sinnvolles aus diesem Buch zu erfahren. Außerdem brauchte ich ein bisschen Schlaf; Mom hatte gesagt, dass wir morgen jede Menge Dinge aussortieren und das Haus putzen würden. Und dann war da noch diese Erben-Party.
    Ich stopfte die Seiten in das Buch zurück, brachte es wieder an seinen Platz auf dem Regal und spürte meine übliche Ratio zurückkehren. Als ich das Licht ausschaltete und das Arbeitszimmer verließ, bemerkte ich, wie sich mein Puls beruhigte.Selbst der Seemann schien freundlich zu sein, als ich jetzt an ihm vorbeiging.
    Ich steuerte auf die Küche zu, holte mir ein Glas Wasser und trug es in der Hoffnung, dass Mom von den quietschenden Treppenstufen nicht aufwachte, nach oben.
    In meinem Zimmer angekommen zog ich die Vorhänge zu und schlüpfte schnell in ein blaues ärmelloses Unterhemd und meine Lieblingspyjamahose: Sie war weiß und mit winzigen Blauwalen gemustert. Ich hatte sie im Museum of Natural History erstanden, als ich dort im letzten März mein Bewerbungsgespräch hatte. Meine Freundin Linda, die damals mit mir gekommen war, hatte über den Pyjama gelacht und ihn als ›absolut schauberhaft‹ bezeichnet.
    Ich blickte auf mein Handy, das ich vorhin auf die Kommode gelegt hatte. Beinahe hätte ich die Hand danach ausgestreckt; das Muskelgedächtnis meiner Finger wollte Linda eine SMS schreiben, ihr vom Alten Seemann und Llewellyn Thorpe berichten. Doch ich konnte es nicht. Ich sollte es nicht. Die Dinge waren nicht mehr dieselben. Überhaupt nicht.
    Seufzend legte ich mich ins Bett, mein Kopf war voll von den Ereignissen des Abends. Ich dachte an die fortschreitende Nacht dort draußen, meine Schwimmtour im Ozean, an verlassene Matrosen und hilfsbereite Meerjungfrauen. Dann vergrub ich meinen Kopf im Kissen in der Hoffnung, von vernünftigen Dinge zu träumen. Wie zum Beispiel davon, in welchem Karton ich morgen EINE EINFÜHRUNG IN DIE LEGENDEN UND ÜBERLIEFERUNGEN VON SELKIE ISLAND verstauen könnte.

KAPITEL 4
Erben
    H ab letzte Nacht geschlafen wie ein Stein«, verkündete Mom, als wir uns am nächsten Morgen auf der vorderen Veranda mit dem Herumtragen schwerer Kartons abmühten. »Das konnte ich schon seit Jahren nicht mehr. Es muss an der frischen Seeluft liegen.«
    »Schade, dass sie bei mir nicht gewirkt hat«, murmelte ich gähnend. Ich hatte in dem schmalen Doppelbett unruhig geschlafen. Außerdem fühlte sich die Seeluft jetzt klamm und stickig an – kein ideales Wetter für körperliche Arbeit.
    Seit der letzten halben Stunde hatten Mom und ich zerbrochene Lampen, abgenutzte Teppichläufer und gesprungene Vasen auf die Straße geschleppt. Laut Mom sollten donnerstagnachmittags die Müllmänner in ihren Golfwägelchen vorbeikommen, um den Abfall der Leute zu entsorgen.
    »Das liegt wahrscheinlich daran, dass du das Bild von dem Seemann gesehen hast«, sagte Mom ärgerlich und stellte ihren Karton an die Straßenecke. »Davon hab ich als Kind auch immer Albträume bekommen.«
    Während des Frühstücks hatte ich Mom von meiner Begegnung mit dem alten Seemann im Flur berichtet. Ich hatte allerdings nichts von meiner Entdeckung des Arbeitszimmer oder Llewellyn Thorpes Buch gesagt. Mein Erlebnis kam mir im hellen Tageslicht noch viel peinlicher vor,und ich glaubte, es sei besser, Unwissenheit vorzutäuschen, wenn Mom und ich irgendwann Isadoras Buchsammlung in Angriff nähmen.
    Gerade, als Mom mir eine Besteckkiste aus den schmerzenden Armen nahm, hörte ich hinter uns eine weibliche Stimme aufkreischen. »Amelia? Amelia Blue Hawkins? Sie ist es, so wahr ich hier stehe!«
    Ich fuhr herum und sah eine dünne Frau in Moms Alter, die die Straße entlanggeeilt kam und uns zuwinkte. Sie trug eine gigantische Sonnenbrille, eine lilafarbenes Kopftuch, ein eng anliegendes Strandkleid und Sandalen mit hohen Absätzen.
    Ich blickte zu Mom, die wie vom Blitz getroffen und gleichermaßen schicksalsergeben wirkte, und spürte einen mitfühlenden Anflug von Schrecken – doch meine Neugier war definitiv geweckt.
    »Wo wir gerade von Albträumen sprechen«, murmelte Mom und seufzte. Dann setze sie ein

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