Der Junge aus dem Meer - Roman
Illingworth waren erst vor zehn Minuten im Alten Seemann eingetroffen, und schon jetzt hatten wir uns an zwei Golfgeschichten ergötzt. Ich wusste nicht, wie viele ich noch würde ertragen können.
In seinem eleganten Anzug aus Leinen, von dem sich abwechselnd glatte und geraffte Stoffstreifen abzeichneten, weltmännisch und nach Zigarren duftend, machte T. J.s Vater in unserer Küche eine gute Figur. Doch noch immer begriff ich nicht, was Mom in ihm gesehen hatte, selbst damals, vor all diesen Jahren. Mein Dad, der nicht so klassisch gut aussehend war wie Mr. Illingworth, kam mir viel charmanter vor – auch wenn das vielleicht nur daran lag, dass er seine Witze gut erzählen konnte.
»Dieses Haus ist fantastisch«, sagte T. J. zu mir und deutete auf die marmornen Abstellflächen. »Ich hatte natürlich schon davon gehört, aber es selbst zu besuchen, ist eine völlig andere Geschichte.«
Fantastisch war meiner Meinung nach, wie glatt und glänzend T. J.s Haare aussahen, wie adrett er sie sich aus der Stirn gekämmt hatte. Nachdem ich ihn drei Tage lang nicht gesehen hatte, war sein gutes Aussehen fast irritierend. Und die Tatsache, dass er neben mir stand, so dicht, dass ich die Webart seines blauen Button-down-Hemds erkennen konnte, verursachte ein Kribbeln in meinem Nacken.
»Es ist gerade etwas in Auflösung begriffen«, erwiderte ich und benutzte diese entschuldigende Phrase, die ich Mom einmal hatte sagen hören. Ich hörte mich merkwürdig an … damenhaft. Am anderen Ende der Küche öffnete Mr. Illingworth die Kühlschranktür für Mom und sie murmelte: »Aber vielen Dank, Teddy.«
»Ein bisschen mehr Glanz könnte nicht schaden«, wagte sich T. J. hervor und tippte mit dem Finger gegen sein rechteckiges Kinn. Einen Augenblick ließ er seinen Blick auf mir ruhen, bevor er auf die sich ablösende, aquamarinfarbene Tapete deutete.
Es drehte sich mir der Magen um. War ich paranoid geworden, oder deutete T. J. etwa an, dass auch ich etwas mehr Glanz gebrauchen könnte? Ich blickte auf meinen weißen Pullover mit V-Ausschnitt, meine grünen Caprihosen und meinen schwarzen flachen Schuhe hinunter. Mom und ich hatten den Vormittag mit Putzen verbracht, und ich hatte kaum Zeit gehabt, mich zu duschen und ein paar Sachen zusammenzustellen. Jetzt hatte ich das schlichteste Outfit von allen. Mom trug Schuhe mit hohen Absätzen und ein blassrosa Strandkleid mit ausgestelltem Rock, dessen Existenz mir bisher nicht bekannt gewesen war.
»Ich war völlig schockiert, als mir mein Vater erzählte, ihr würdet erwägen, den Alten Seemann zu verkaufen«, fuhr T. J. fort und strich mit der Handfläche über die Arbeitsplatte. »Klar, ihr könntet sicher einen Haufen Geld damit verdienen, aber ein Haus wie dieses ist doch in erster Linie eine historische Sehenswürdigkeit.«
Ich zuckte mit den Schultern und fragte mich, wie ich die Unterhaltung nun wieder vom Thema Immobilienmarkt abbringen könnte. »Unser Leben spielt sich in New York ab«, sagte ich, wobei mir klar wurde, wie weit entfernt New York gerade war. Wie weit entfernt es von Leo war. »Das Haus zu behalten wäre wie …«
»Ein Albatross um euren Hals?«, warf Mr. Illingworth dröhnend ein. Ich hatte keine Ahnung, dass er uns zugehört hatte. Er grinste, wippte auf seinen Absätzen hin und her und fuhr fort: »Wie auf dem Bild von dem alten Seemann, das im Flur vor dem Arbeitszimmer hängt.«
Ich runzelte die Stirn. Wie konnte Mr. Illingworth von dem Gemälde wissen? Auf dem Weg von der Vorhalle in die Küche waren wir nicht daran vorbeigekommen.
»So ähnlich«, sagte Mom lachend. Sie kniete vor dem Backofen und überprüfte ihre Blaubeertarte. Ich konnte mich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass Mom anscheinend plötzlich Gefallen am Kochen und Backen gefunden hatte. Sie hatte mich am Morgen sogar gebeten, ihr mit der Tarte zu helfen, doch ich hatte abgelehnt. Die Zubereitung von Essen reizte mich nicht.
»Sag, dass es nicht stimmt, Amelia Blue!«, tönte Mr. Illingworth und legte eine Hand auf seine Brust, während T. J. zustimmend kicherte. »Ich weiß nicht, ob Selkie Island es verkraften kann, wenn du wieder verschwindest.« Er machte eine Pause und fügte dann nüchtern hinzu: »Ich hab dich schon einmal entkommen lassen.«
Okay. Nein.
Ich kämpfte gegen das Bedürfnis an, mir die Ohren zuzuhalten. Ich blickte zu T. J., um zu sehen, ob aucher vor lauter Peinlichkeit zusammenzuckte, aber er nickte seinem Vater mit ernster Miene zu.
»Wer
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