Der Junge aus dem Meer
Menschen hinter den Fensterscheiben im Unterdeck, höre Musik aus Lautsprechern, und dann sind da ein leerer Korridor und ein Stück von der Reling. Und schließlich mein Sprung... Es ist dunkel, und ich treibe im Wasser. An mehr kann ich mich nicht erinnern.“
„Dabei war das Eulenauge überhaupt nicht an Bord“, bemerkte der semmelblonde Florian nach einer Weile.
„Aber das habe ich ja nicht geahnt“, meinte Peter leise.
„Wieso dich die Flut dann ausgerechnet hier bei Rantum an den Strand geworfen hat“, überlegte Professor Stoll, „das wird wohl für alle Ewigkeit ein Rätsel bleiben.“
„Und ein regelrechtes Wunder“, ergänzte Fräulein Emma Zobelmann. Danach schnüffelte sie in ihr Taschentuch, das genauso blütenweiß war wie ihre Schürze.
„Ja, es ist ein Wunder, daß er noch lebt“, wiederholte Frau Grämlich aus Iserlohn. „Und ihr seid dabei nicht ganz schuldlos.“ Dabei blickte sie zu den Glorreichen Sieben hinüber.
„Vermutlich haben die Strömungen und die starken Gewitter in dieser Nacht eine Rolle gespielt“, überlegte Kommissar Michelsen. „Aber die Entfernung ist enorm, und es muß ja um die ganze Nordspitze der Insel herumgegangen sein.“ Er schüttelte nachdenklich den Kopf.
Auf der anderen Seite des Tisches klopfte Herr Kubatz gerade seine Pfeife aus. Anschließend nahm er einen Schluck von der Erdbeerbowle und wandte sich dann an Professor Schreiber: „Dieser Herr Landauer hat Peter also in tiefste Hypnose versetzt und ihm dann Befehle erteilt, die er nachher, also wenn er wieder aufgewacht ist, ausführen sollte. Ist denn so etwas überhaupt möglich?“
„Ja, das gibt es“, antwortete das Schildkrötengesicht und blickte dabei besorgt durch seine dicken Brillengläser. „Wir nennen das ,posthypnotische Handlungen’.“ Der Professor saß wieder einmal ganz klein in seinem breiten Sessel. „Damit sind Suggestionen, also Anweisungen oder Befehle, gemeint, die in der Hypnose gegeben werden, aber erst nach dem Erwachen ausgeführt werden. Solche Suggestionen sind im allgemeinen zeitlich nur von begrenzter Dauer. In gewissen Fällen bleiben sie allerdings über Monate hinweg wirksam. Das gilt zum Beispiel bei Suggestionen gegen Lampenfieber, Stottern, gegen Angstzustände, das Rauchen oder das Trinken. In vielen Fällen hat da die Posthypnose schon geholfen.“
„Aber die kann auch gefährlich sein, wie es unsere Geschichte zeigt“, meinte Kriminalkommissar Michelsen. „Es könnte also doch passieren, daß jemand in der Hypnose den Befehl bekommt, ein Verbrechen zu begehen. Er wird wieder aufgeweckt und klaut ein Auto oder zündet ein Haus an, je nachdem, was ihm suggeriert worden ist.“
„Ich habe schon einmal gesagt, daß die Sache nicht ganz so einfach ist“, meinte der zierliche Professor mit dem Schildkrötengesicht. „Und ich wiederhole es: Kein Mensch kann in der Hypnose zu einer Tat gezwungen werden, die er in normalem Zustand nicht auch begehen würde.“ Er faltete wieder einmal seine schmalen Hände und betrachtete die Fingerspitzen. „Der Zwang zu einem Verbrechen durch hypnotischen Auftrag ist ganz unmöglich. Und deshalb ist auch Herr Landauer schließlich auf die Nase gefallen.“ Er drückte sich noch tiefer in seinen Sessel. „Dieser geldgierige Knabe hat nämlich einen schwerwiegenden Fehler gemacht.“
„Darf man fragen, welchen?“ Der Kriminalkommissar nahm einen Zug aus seiner Zigarre und beugte sich vor.
„Er zeigte Peter die rund zweihunderttausend Kronen, und das war dieser Fehler“, erwiderte der zierliche Professor aus Hamburg. „Wenn der Junge geglaubt hätte, daß lediglich seine Schulbücher in der dunkelbraunen Ledertasche waren, würde er vermutlich alle Befehle ohne Widerstand ausgeführt haben. Aber jetzt wußte er von dem Geld, und selbst in der tiefen Hypnose regt sich sein Verdacht. Irgend etwas ist da nicht in Ordnung, und das darfst du nicht machen, sagt ihm sein Unterbewußtsein . Sein Charakter ist stärker. Er spaziert noch gehorsam zum Schiff und deponiert auch die Ledertasche mit den zwei Schlössern bei dem kahlköpfigen alten Mann. Aber als dann Herr Albert Landauer an Bord kommt, würde er ihm nie und nimmer die Garderobenmarke aushändigen. Plötzlich gibt es da eine Hemmschwelle’, wie wir es nennen. Die Angst läßt ihn ins Meer springen, obgleich er gerade noch von Krokodilen und Haifischen geträumt hat.“
„Dann war er also noch hypnotisiert?“ fragte Karlchen Kubatz aufgeregt. „Ich
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