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Der Junge aus dem Meer

Der Junge aus dem Meer

Titel: Der Junge aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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das“, bemerkte das Schildkrötengesicht nachdenklich. „Nur etwa jeder vierte Mensch ist dafür geeignet.“
    Kriminalkommissar Michelsen nahm einen Zug aus seiner Zigarre und las weiter vor: „Schon knapp zehn Minuten später konnte ich ihm meine Befehle suggerieren, die er nachher ausführen sollte, also nachdem ich ihn aufgeweckt hatte. ,Du gehst mit dieser Ledertasche von deinem Zimmer durch die Hotelhalle direkt zum Hafen. In dieser Tasche ist eine Menge Geld, und du darfst sie nicht verlieren. Wir haben heute nachmittag auf der Fähre Kakao getrunken, und du erinnerst dich an das weiße Schiff. Es wird jetzt von vielen Lichtern beleuchtet sein. Du gehst an Bord und sofort zu dem alten Mann mit dem kahlen Kopf an der Garderobe. Du erinnerst dich auch an ihn? Dort gibst du die Ledertasche ab und läßt dir die Marke mit der Nummer für die Aufbewahrung geben. Danach wartest du in der Nähe der Gangway, bis ich komme. Das wird gleich nach meinem Auftritt hier im Theatersaal sein und etwa eine Viertelstunde vor Abfahrt des Schiffes. Wir werden so tun, als ob wir uns nicht kennen. Ich gehe an dir vorbei, aber du kommst hinterher. Dann bleibe ich stehen, und du gibst mir die Garderobenmarke für die Ledertasche. Wenn ich dich dann wieder aufwecke, hast du keine Erinnerung mehr und alles vergessen.’ Ich wiederholte diese Befehle so lange, bis ich sicher war, daß er sie begriffen hatte und auch ausführen würde. Dann weckte ich ihn auf. ,Du bist nicht mehr müde, deine Augen öffnen sich, und du bist ganz entspannt.’
    Jetzt ließ ich ihn das Geldbündel sehen. ,Das ist ein Geheimnis zwischen uns, und du darfst es niemandem zeigen.’ Daraufhin packte ich die Dänenkronen wieder in das Zeitungspapier und legte sie auf den Boden der Tasche. Dabei kam mir die Idee mit den Schulbüchern. Ich nahm sie vom Tisch und schichtete sie über das Geldpaket. So war die Ledertasche nicht mehr so leer, und gleichzeitig würde ihr Inhalt jetzt bei einem ersten Blick völlig harmlos erscheinen. Ich schloß die beiden Schlösser ab und ließ den kleinen Schlüssel in meiner Westentasche verschwinden. ,Du wartest jetzt noch ein paar Minuten, und dann gehst du los’, sagte ich noch, bevor ich ihn allein ließ. Ich fuhr mit dem Lift in die Halle und setzte mich ziemlich im Hintergrund in einen Sessel. Ich mußte nicht lange warten. Der schwarzhaarige Junge kam in seinen abgeschnittenen Blue Jeans gleich darauf über die Treppe. Er hatte sich eine blaue Windjacke über die Schultern geworfen und trug die dunkle Ledertasche in der rechten Hand. Ohne nach links oder rechts zu blicken, ging er durch die große Drehtür und schlug den Weg zum Hafen ein. Jetzt holte ich mein Taschentuch heraus und wischte in aller Seelenruhe meine Fingerabdrücke von dem Zimmerschlüssel mit der Nummer 24. Anschließend wanderte ich zur Portierloge, wartete einen günstigen Augenblick ab und ließ den Schlüssel direkt aus meinem Taschentuch auf den Tisch gleiten. Der Portier kümmerte sich gerade um eine französische Reisegesellschaft, die inzwischen in einem Omnibus vorgefahren war. Aus dem Theatersaal war die Musik der arabischen Springertruppe zu hören. Ich hatte also noch Zeit. Als ich dann schließlich meinen Auftritt hatte, bemerkte ich den dicken, rundlichen Herrn Halström aus Stockholm in der zweiten Reihe. Er war in bester Laune und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel, als meine Kandidaten zuerst im Schneesturm zitterten und sich anschließend wegen der großen Hitze bis auf die Unterhose auszogen. Nach meinem Auftritt nahm ich ein Taxi zum Hafen. Ich kam auf das Fährschiff, als gerade die Restaurantgäste an Land gingen und nur noch die Passagiere an Bord blieben. Dicht neben der Gangway drängelten sich jetzt die Menschen am meisten. Deshalb wunderte ich mich nicht besonders darüber, daß ich den schwarzhaarigen Jungen in seiner blauen Windjacke nicht sofort entdecken konnte. Aber auch später, als sich die Besucher verlaufen hatten, blickte ich mich vergeblich um. Schließlich lief ich über die Decks und durch alle Korridore, aber der Junge blieb verschwunden. Und jetzt bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich wagte es gar nicht mehr, den Glatzkopf an der Garderobe zu fragen, ob man ihm eine dunkle Ledertasche mit zwei Schlössern zur Aufbewahrung gegeben hätte. Ich mußte fürchten, daß der Junge aus irgendeinem Grund die Hypnose abgeschüttelt hatte, und dann wartete im Hintergrund der Garderobe vielleicht schon ein

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