Der Junge aus dem Meer
Otto Hugendubel knapp. Es fehlte nur noch, daß er sich höflich nach allen Seiten verbeugt hätte.
„Niemand kann uns daran hindern, jeden Tag ein halbes Kilo klüger zu werden“, bemerkte Paul Nachtigall. Er war der Älteste und beinahe einen Kopf länger als die anderen. „ Astalawista , Sennjores !“
Daraufhin galoppierten die Glorreichen Sieben wie ein Rudel junger Hunde zum Strand hinunter.
Die letzten Meter mußten sie dann allerdings vorsichtig und auf Zehenspitzen zurücklegen. Überall lagen nämlich Steine, Quallen und Seemuscheln dicht nebeneinander. Zudem hatte der Sturm als Treibgut noch Glühbirnen angespült, alte Flaschen und Konservendosen — alles Dinge, die man irgendwann einmal von den vorbeifahrenden Schiffen über Bord geschmissen hatte.
Im Meer warfen sie sich dann gegen die Wellen und ließen sich durcheinanderwirbeln. Oder sie tauchten wie Unterseeboote unter der Brandung hindurch und schaukelten dann draußen in der ruhigeren Dünung in aller Seelenruhe hin und her wie in einer Hängematte.
„Es ist wirklich phänomenal!“ brüllte Karlchen Kubatz. Gleich darauf verschwand sein Bürstenhaarschnitt unter dem nächsten Wellenkamm. Als er wieder auftauchte, holte er zuerst tief Luft, und dann gluckste er wie aus heiterem Himmel: „Erinnert direkt an unsere drei Mineralquellen in Bad Rittershude.“
„Bad Rittershude ?“ trompetete Hans Pigge . „Nie gehört.“ Er drehte sich wie eine Schiffsschraube durchs Wasser. Anschließend prustete er: „Hand auf’s Herz, kennt jemand von euch Bad Rittershude?“
Keiner von den Glorreichen Sieben schien jemals etwas von einem Bad namens Rittershude gehört zu haben.
„Aber ein gewisser Oberstudiendirektor Senftleben müßte den Herren doch bekannt sein?“ wollte Karlchen Kubatz jetzt wissen.
Paul Nachtigall legte sich auf den Rücken und tat so, als würde er angestrengt überlegen. Auch die anderen schienen harte Gedankenarbeit zu leisten.
„Völlig unbekannt“, meinte Paul Nachtigall schließlich.
„Ja, völlig unbekannt“, bestätigte jetzt auch Emil Langhans. Er befand sich gerade mitten im Stimmbruch, weshalb es sich immer so anhörte, als würde er sich gerade mit einer hochgradigen Kehlkopfentzündung herumschlagen.
„Und ein Prinz-Ludwig-Gymnasium?“ fragte Karlchen Kubatz weiter. „Das sagt euch bestimmt auch nichts, wie ich vermute?“
„Nicht die Bohne“, versicherte Hans Pigge.
„Mir ist natürlich der Schiefe Turm von Pisa ein Begriff“, überlegte Paul Nachtigall weiter. „Und das Brandenburger Tor in Berlin. Aber...“ Er nahm die Arme hinter den Kopf, als wolle er sich eine Weile schlafen legen, und paddelte nur noch mit den Beinen. „Wie war doch gleich der Name?“
„Du hast wohl keine Krempe am Hut“, empörte sich in diesem Augenblick Emil Langhans. „Dieses Prinz-Ludwig-Gymnasium ist doch nicht etwa eine Schule oder so was Ähnliches? Da kann einem ja richtig schlecht werden, du Affe!“ Und dabei sprang er auch schon los. Er warf sich auf den kleinen Karlchen Kubatz, packte ihn bei den Schultern und drückte ihn mitten in eine Welle, die gerade im richtigen Moment vom Meer her zum Ufer rollte.
Das wirkte auf die Jungen so, als würden auf einen Schlag im besagten Prinz-Ludwig-Gymnasium die Klassentüren aufgerissen, weil es gerade zur großen Pause geklingelt hatte.
Hals über Kopf hüpften sie plötzlich wieder wie aufgescheuchte Frösche durcheinander, warfen sich vorwärts und rückwärts in die Brandung, tauchten bis zum Grund oder sprangen mit ausgestreckten Körpern über die Wellen wie fliegende Fische. Karlchen Kubatz spielte inzwischen Unterseeboot. Von ihm war nur noch ein Stück seines Schnorchels zu sehen.
„Hat der Mensch Töne!“ brüllte der dickliche Sputnik zwischendurch. „Vor genau zehn Tagen haben wir noch über einer Klassenarbeit geschwitzt! Das ist doch nicht zu fassen!“
„Damit die Herrschaften so kurz vor den Sommerferien nicht allzu übermütig werden“, verkündete Paul Nachtigall mit verstellter Stimme, die sich beinahe so anhörte wie die von Dr. Purzer. Dabei richtete er sich für einen kurzen Augenblick auf und kreuzte die Arme vor der Brust, genauso, wie es der Studienrat immer machte, wenn er vor der 9 C neben dem Katheder stand.
Die Glorreichen Sieben wieherten vor Lachen, und zwei von ihnen probierten sogar einen Handstand aus lauter Vergnügen.
„Du kriegst die Tür nicht zu“, gluckste Karlchen Kubatz unter seiner Taucherbrille. „Das
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