Der Junge aus dem Meer
Und deshalb kommt gleich morgen früh unser Polizeifotograf zu Ihnen raus.“
„Das wird vielleicht gar nicht mehr nötig sein“, bemerkte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten und holte jetzt den Film und die Vergrößerungen aus seiner Jackentasche.
„Das ist ja fabelhaft“, begeisterte sich Kommissar Michelsen, als er die Bilder durchblätterte.
„Genau das, was wir brauchen werden“, bestätigte der junge Herr Lüders.
„Es genügt wohl, wenn ich Ihnen den Film überlasse“, bemerkte Herr Kubatz. „Sie können sich ja von den Negativen so viele Vergrößerungen machen lassen, wie Sie wollen.“ Dabei lächelte er höflich und ließ die Fotos wieder in seiner Tasche verschwinden. „Übrigens bin ich Ihnen noch eine Erklärung schuldig.“
„Und das wäre?“ fragte Kriminalkommissar Michelsen, der auf einmal mißtrauisch geworden war.
„Ich habe Ihnen für meinen Besuch noch nicht den wirklichen Grund genannt...“ Herr Kubatz nahm seine Pfeife aus dem Mund. „Ich wollte nicht unfair sein und es Ihnen zuerst sagen: Eines dieser Fotos erscheint morgen früh mit einem Artikel von mir auf der ersten Seite der Bad Rittershuder Nachrichten.“ Er lehnte sich zurück. „Wir hätten uns früher unterhalten sollen, das ist der Fehler.“
Und als Kriminalkommissar Michelsen kein Wort sagte und nur völlig verblüfft zu ihm hinüberblickte, fügte Herr Kubatz noch hinzu: „Wissen Sie, für uns in Bad Rittershude sind die großen Zeitungen mit ihren Riesenauflagen genau dasselbe wie für Sie diese Kriminalräte mit ihren Kommissionen. Ich mußte schneller sein, um ihnen zu beweisen, daß auch wir in der Provinz keine Hohlköpfe sind, wie Sie sagen.“ Er schmunzelte jetzt ganz offen und schlug die Beine übereinander. „Sie haben aus demselben Grund die Sache vorerst auf die lange Bank schieben wollen. Eigentlichen müßten Sie mich doch ganz gut verstehen?“ Er paffte zwei kleine Wölkchen Pfeifenrauch an der Schreibtischlampe vorbei. „Eine gewisse Zeit bleibt Ihnen übrigens noch. Vorerst erfährt nämlich niemand, auf welcher Insel die Geschichte passiert ist. In meinem Artikel ist Sylt mit keinem Wort erwähnt.“
„Trotzdem“, knurrte Kommissar Michelsen. „Jetzt haben wir den Salat!“ Er nahm seine schwarze Zigarre in den Mund, zog grimmig daran, aber sie war ausgegangen. „Lieber Herr Kubatz, spätestens übermorgen ist hier die Hölle los.“
„Auf etwas Ähnliches müssen wir uns allerdings gefaßt machen“, erwiderte Herr Kubatz und wünschte höflich eine gute Nacht.
Als er die Tür öffnete, kam der Polizeifotograf an ihm vorbei ins Zimmer.
Weil Kommissar Michelsen im Augenblick nur wortlos vor sich hinbrütete, sagte der junge Herr Lüders leise: „Sie sind überflüssig geworden, Herr Eckbaum.“ Das hörte der Polizeifotograf natürlich nicht so gerne und zog beleidigt wieder ab.
Im Haus Seestern saß inzwischen Frau Kubatz unter einer Stehlampe und strickte an einem dunkelblauen Wollpullover. Alexander spielte jetzt schon eine ganze Weile Klavier. Er hatte dabei die Augen geschlossen, und es sah so aus, als würde er träumen.
Die Glorreichen Sieben hingen in ihren Sesseln, hörten zu und starrten ins Kaminfeuer. Drüben am Tisch saßen Professor Stoll und die Großmutter beim Domino.
Fräulein Emma Zobelmann war bereits aufgesprungen, als sie vom Hof her den Wagen gehört hatte, und als Herr Kubatz jetzt hereinkam, klapperte sie bereits mit irgendwelchen Töpfen.
„Daß dir dein Abendessen wieder aufgewärmt wird, ist eine Ausnahme“, stellte Großmutter Kubatz fest. „Aber auch nur deshalb, weil du uns rechtzeitig gewarnt hast.“
„Ich weiß es zu würdigen“, entgegnete Herr Kubatz. Anschließend erzählte er, was er inzwischen alles erlebt hatte.
„Das entschuldigt deine Verspätung allerdings“, meinte die Großmutter hinterher gnädig. „Was du heute erledigt hast, dazu brauchen andere Leute zwei Wochen.“
Natürlich wollten die Glorreichen Sieben jetzt auch die Vergrößerungen sehen, und als Herr Kubatz die Bilder aus seiner Jackentasche angelte, bekam er plötzlich auch das buntgedruckte Programm in die Hand, das ihm Herr Morgano im Flugzeug überreicht hatte.
Die Fotos wanderten inzwischen von einem zum anderen, und Karlchen Kubatz stellte in aller Bescheidenheit fest: „Da muß ein Genie am Werk gewesen sein.“ Dabei blätterte er die Vergrößerungen vor Alexander wie Spielkarten auf das Klavier. „Na, wie gefällst du
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