Der Junge aus dem Meer
Abendessen.“
„War die Kriminalpolizei inzwischen da?“ wollte der Chefredakteur noch wissen.
„Hätte ich beinahe vergessen“, meinte die Großmutter. „Aber das können wir dir ja auch später erzählen.“ Sie wollte schon auflegen, da rief sie: „Moment mal, dein Herr Sohn rudert so komisch mit den Händen durch die Luft, ich glaube, er will dir etwas sagen.“
„Dann laß ihn mal ans Rohr“, meinte Herr Kubatz.
„Es ist wegen der Fotos“, flüsterte Karlchen Kubatz aufgeregt, obgleich dazu eigentlich gar kein Grund gegeben war. „Natürlich ist mir inzwischen ein Kronleuchter aufgegangen, und ich kann mir vorstellen, was du mit dem Film angestellt hast.“
„Kluges Kind“, meinte Herr Kubatz. „Andererseits weißt du ja, daß dein Vater eine Zeitung hat und daß er das auch in den Ferien nicht ganz vergessen darf.“
„Ich fürchte nur“, äußerte sich Karlchen besorgt, „der Kriminalkommissar geht in die Luft, falls er davon hört.“
„Wieso?“ unterbrach Herr Kubatz seinen Sohn. Er war plötzlich so hellwach wie nach einer eiskalten Dusche. „Was hat er gesagt? Hübsch ruhig und in kurzen Worten.“
Karlchen berichtete daraufhin eine ganze Weile, und Herr Kubatz erbat sich anschließend eine kurze Bedenkzeit. Dann sagte er plötzlich: „Ich werde mich vermutlich zum Abendessen verspäten. Bring es deiner Großmutter schonend bei.“ Er legte auf, blieb aber noch einen Augenblick in der Telefonzelle stehen und zündete sich nachdenklich eine Pfeife an. Nachdem er sich dann mit den ersten drei Rauchwolken eingenebelt hatte, flitzte er auf den Parkplatz und sprang in sein knallrotes Kabrio. Fünf Minuten später, vor dem Gebäude der Kriminalpolizei, sprang er wieder aus ihm heraus.
Der Weg zu Kommissar Michelsen führte durch einen langen Gang und dann durch zwei Vorzimmer, in denen sich Polizeibeamte mit irgendwelchen Besuchern herumschlagen mußten.
Eine Touristin klagte gerade über die viel zu dünnen Wände in ihrer Pension: „Wenn man nebenan in der Küche Zwiebeln schält, muß ich weinen.“ Sie sei von ihrem Reisebüro betrogen worden und verlangte sofort Anzeige.
Einem Feriengast aus Trier war am Strand sein Fotoapparat geklaut worden, und ein anderer verlangte, daß sofort alle Streifenwagen losgeschickt werden sollten, um seinen weggelaufenen Hund einzufangen. „Wozu zahle ich schließlich meine Steuern?“ empörte er sich.
Chefredakteur Kubatz wurde telefonisch angemeldet, und dann kam der junge Kriminalassistent Lüders. Er stellte sich vor und sagte daraufhin: „Darf ich bitten?“
„Das kann ja lustig werden“, dachte Herr Kubatz kurz darauf, als sie vor der Tür des Kriminalkommissars standen. Herr Lüders mußte nämlich dreimal klopfen, weil drinnen eine Stimme brüllte, die lauter war als alles andere: „Das ist kompletter Quatsch! Jawohl, kompletter Quatsch, sage ich. Deine Dämlichkeit schreit ja zum Himmel. — Herein!“
„Chefredakteur Kubatz“, meldete der junge Herr Lüders, als er die Tür aufgemacht hatte.
„Bitte kommen Sie herein“, erwiderte Herr Michelsen. Er stand hinter seinem Schreibtisch, hatte das Jackett ausgezogen und einen Kopf, so rot wie eine Tomate. „Ich bin mit dem Burschen ohnehin gleich fertig.“
Mit dem Burschen war ein junger Kerl in einer schwarzen Lederjacke gemeint, der in Handschellen neben einem uniformierten Polizisten stand.
„Mein Name ist Michelsen“, sagte der Kommissar. „Ich glaube, wir haben uns eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“
„Im vergangenen Sommer, als das neue Wellenbad eingeweiht wurde“, bemerkte der Chefredakteur. „Ich habe damals in meiner Zeitung darüber berichtet.“
„Bitte nehmen Sie doch Platz, Herr Kubatz, und entschuldigen Sie mich noch zwei Sekunden.“ Damit drehte er sich um und ging drohend auf den jungen Mann in der schwarzen Lederjacke zu. Gleichzeitig brüllte er wieder los: „Meinst du vielleicht, ich lasse zu, daß Ganoven wie du aus unserer Insel ein zweites Chikago machen und unseren Feriengästen die Autos klauen, während sie ahnungslos am Strand in der Sonne liegen?“
„Es war bloß ein blöder Zufall“, stammelte der Bursche mit den Handschellen. „Ich dachte, es sei der Wagen meines Bekannten. Eine Verwechslung, sonst nichts.“
„Und wieso hast du dann mit dem Hammer die Scheibe eingeschlagen?“ brüllte Kriminalkommissar Michelsen, völlig außer sich. „Du hältst mich wohl für einen Idioten! Ich gebe dir eine Nacht Zeit, damit dir
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