Der Junge aus dem Meer
dir?“
Aber bevor der Junge mit den pechschwarzen Haaren antworten konnte, fragte Emil Langhans: „INTERNATIONALE ARTISTIK, was ist denn das?“ Dabei blätterte er in dem buntgedruckten Programm, das Herr Kubatz eigentlich gerade in den Papierkorb werfen wollte. „Haben die sich etwa hierher auf die Insel verirrt?“
„Sie geben zwei Vorstellungen in einem Zelt, das sie irgendwo am Rand von Westerland auf einer Wiese aufstellen“, berichtete Herr Kubatz. „Wir sind eingeladen. Ich habe zufällig den Direktor kennengelernt.“
Beinahe im selben Augenblick sagte Professor Stoll: „Übrigens, Professor Schreiber hat sich für morgen angesagt.“ Dabei machte er einen Zug mit einem schwarzen Dominostein und meinte: „Du bist dran, Gustchen.“
„Das ist doch dieser Herr mit den Gehirnzellen aus Hamburg?“ fragte Großmutter Kubatz. Gleichzeitig schob sie jetzt ihrerseits einen Dominostein nach vorn und stellte trocken fest: „Tut mir leid, aber jetzt sind Sie geliefert.“
Zwei Pferde lassen durch, ihren Spaziergang das ganze Geheimnis auffliegen
Am nächsten Morgen begleiteten die Bewohner der Blockhütte, und zum erstenmal auch Alexander, die Glorreichen Sieben bei ihrem täglichen Strandlauf. Frau Kubatz verkündete allerdings schon nach dem Herumschwimmen in der Brandung: „Wunderschön, aber mir reicht’s.“ Und dem Chefredakteur ging dann fünf Minuten später an der Bucht, als man schon die Boje 11 mit dem Nivea-Ballon sehen konnte, die Luft aus. „Bis gleich“, rief er den Jungen hinterher. „Ein alter Mann ist eben doch kein D-Zug mehr!“
Der schwarzhaarige Junge mit dem vorläufigen Namen Alexander lief dagegen genauso schnell und ausdauernd wie Paul Nachtigall. Mit einem Vorsprung von fast hundert Metern kamen die beiden nebeneinander in die Mulde zurück.
Jetzt saß das ganze Haus Seestern beim Frühstück. Peter und Paul steckten wieder einmal ihre Köpfe neugierig durch die Hintertür, während der Wellensittich auf der Vorhangstange eingenickt war. Die Sonne wanderte vom Kamin herüber allmählich zum Klavier hin, und Fräulein Emma Zobelmann hatte sich heute eine blütenweiße Schürze umgebunden. Man sah noch deutlich die Bügelfalten.
„Ein Wetterchen wie für ein Schützenfest“, stellte Großmutter Kubatz gerade fest, als ein Postbote auf einem Moped in den Hof knatterte.
„Darauf warte ich schon, seitdem ich aus den Federn bin“, meinte Herr Kubatz und flitzte vor die Tür. Als er gleich darauf wieder zurückkam, war er bereits dabei, den Umschlag eines dicken Eilpostbriefes aufzureißen. Er konnte es eben kaum erwarten, bis er die neueste Ausgabe der Bad Rittershuder Nachrichten in der Hand hatte und aufschlagen konnte.
„Ausgezeichnet gemacht“, stellte der Chefredakteur befriedigt fest. Das bezog sich einerseits auf die Titelseite, die er jetzt betrachtete, und zugleich auf den Umstand, daß Redakteur Hildesheimer auch daran gedacht hatte, ihm gleich mehrere Exemplare zu schicken.
Die Glorreichen Sieben waren von ihren Stühlen aufgesprungen, und Herr Kubatz verteilte die Zeitungen unter sie. Bis auf die letzte, die er seiner Mutter und seiner Frau über den Tisch hinüberreichte. Sie waren als einzige hinter ihren Kaffeetassen sitzen geblieben.
„Junge ohne Gedächtnis vom Meer an den Strand geworfen“, las Emil Langhans die Schlagzeile vor.
„Und das Foto“, bemerkte Fräulein Emma Zobelmann. „Genau, wie er leibt und lebt.“ Und dann fing sie auch beinahe schon wieder an zu schluchzen. „Nur die Unterschrift ist so traurig.“
„Ich weiß nicht, wer ich bin?“ murmelte die Großmutter. „Ja, zum Kichern ist das gerade nicht.“ Sie blickte hinüber zu dem schwarzhaarigen Jungen, der genauso neugierig wie die anderen die Titelseite der neuesten Bad Rittershuder Nachrichten betrachtete. „Hoffentlich ist damit ein Anfang gemacht. Ich meine, irgend jemand muß dich doch wiedererkennen und dir dann helfen können.“
„Ja, hoffentlich“, wiederholte Alexander und lächelte jetzt sogar: „Das eigene Foto in einer Zeitung, das ist ein Gefühl, als hätte man plötzlich Schmetterlinge im Bauch.“
Als sie eine ganze Weile später dann wieder beim Frühstücken waren, druckste Karlchen Kubatz hin und her, als ob er etwas sagen wollte.
„Das gibt nur Magengeschwüre, wenn man etwas unterdrückt“, meinte sein Vater. „ Irgend etwas bedrückt dich, und du solltest den Mund aufmachen.“
„Stimmt“, gab Karlchen Kubatz zu. Dabei verschluckte
Weitere Kostenlose Bücher