Der Junge aus dem Meer
Dünen fegte. „Und da mein Freund aus Hamburg heute doch nicht mehr kommen kann, würde ich euch sogar begleiten.“ Er legte seinen Arm um Alexanders Schultern. „Ich habe heute zweimal mit seiner Klinik telefoniert, aber Professor Schreiber hatte noch eine Operation, von der er nicht wußte, wie lange sie dauern würde. Morgen früh nimmt er aber gleich den ersten Zug, und ich werde ihn am Bahnhof abholen. So lange werden wir jetzt auch noch Geduld haben.“
„Also, abgemacht“, meinte ‘der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten. „Ich rufe diesen Signore Morgano an und lasse uns Plätze reservieren.“
„Wir müßten uns jetzt aber wirklich auf die Socken machen“, mahnte Herr Bissegger ungeduldig und setzte sich schon in Bewegung. In Wirklichkeit war er über den kleinen Aufenthalt gar nicht so unzufrieden. Er hatte nämlich inzwischen noch einmal den weißhaarigen Professor fotografiert, und zwar genau in dem Augenblick, als er mit Alexander sprach und dabei seinen Arm um dessen Schultern legte. Allerdings völlig unbemerkt, weil er für diese Aufnahme einen Winkelsucher benutzt hatte, so daß nur die Optik seiner Kamera auf die beiden gerichtet war, während er selbst in eine ganz andere Richtung blicken konnte. Es hatte den Eindruck gemacht, als würde er plötzlich einen Schwarm Möwen fotografieren, der gerade vorbeiflog. „Der Arzt mit seinem jungen Patienten“, formulierte Herr Bissegger bereits insgeheim die Bildunterschrift. „Das ist ein Bild, das mir die Zeitungen nur so aus der Hand fressen.“ Bei diesen Gedanken war er schon gute zehn Meter durch den Sand gestapft, drehte sich jetzt um und rief: „Herr Kubatz, ich bin bei meiner Agentur geliefert, wenn das Flugzeug ohne mich abfliegt.“
„Dann nichts wie los“, erwiderte der Chefredakteur, holte den Pressefotografen ein und trabte mit ihm über den Dünenkamm zur Mulde.
Herr Bissegger fabrizierte noch schnell ein Foto von der Fahne der Glorreichen Sieben am Haus Seestern, und der Chefredakteur holte einen dicken Briefumschlag mit seinen Artikeln aus dem Blockhaus. Anschließend kurvten beide in dem Kubatzschen roten Flitzer zum Tor hinaus.
„Die haben wohl nicht alle Tassen im Schrank“, fluchte der Pressefotograf, als sie am Flugplatz vorfuhren. Die Maschine nach Hamburg ließ nämlich bereits ihre Motoren anspringen. Herr Bissegger stürmte durch die Sperre wie ein mittelmäßiger Hurrikan, rannte über das Flugfeld und wedelte dabei mit den Armen. Tatsächlich wurde die Tür geöffnet und die Einstiegtreppe noch einmal aus der Maschine gelassen.
Der Pressefotograf in seinem knallbunten Hemd kletterte ins Innere, aber bevor er ganz verschwunden war, tauchte er mit dem Kopf noch einmal kurz aus der Tür und winkte mit dem dicken Briefumschlag. Herr Kubatz winkte zurück. Anschließend begab er sich wieder einmal zu einer Telefonzelle und sprach mit Herrn Hildesheimer in Bad Rittershude.
„Ein Vater hat sich gemeldet“, berichtete der Redakteur. „Er hat seinen Sohn allerdings vor zehn Jahren zum letztenmal gesehen, als er nach einer Scheidung von seiner Frau nach Amerika ausgewandert ist. Aber die Nase und die Mundpartien seien genauso gewesen wie auf dem Foto...“
„Sonst noch was Neues?“ unterbrach Herr Kubatz.
„Es ist ruhiger geworden“, erwiderte der Redakteur. „Der erste Sturm, sozusagen, ist vorbei. Aber wir sind nach wie vor in Alarmbereitschaft.“
„Besten Dank“, meinte Herr Kubatz. „Aber spätestens in zwei Stunden können Sie alles abblasen und wieder ganz normal weitermachen. Ich habe mit der ZENTRALEN PRESSE-AGENTUR gesprochen und mich geeinigt. Meine Artikel kommen jetzt über ihre Fernschreiber an alle Zeitungen und damit natürlich auch zu Ihnen. Es gibt dann kein Geheimnis mehr.“
„Das war sehr vernünftig“, erlaubte sich Herr Hildesheimer zu bemerken.
„Unsere Bad Rittershuder Nachrichten haben ein paar Stunden lang vor der ganzen Presse die erste Geige gespielt. Mehr war nicht drin.“
„Aber wir haben überall daran erinnert, daß man gelegentlich mit uns rechnen muß“, unterbrach Herr Hildesheimer seinen Chef ein wenig stolz.
„Jetzt wollen wir wieder schön auf dem Teppich bleiben“, meinte Chefredakteur Kubatz. Als er hinterher ein wenig nachdenklich zum Parkplatz schlenderte, entdeckte er an einem Kiosk bereits die ersten fremden Zeitungen mit dem Foto eines schwarzhaarigen Jungen, der an irgendeinem Strand ans Ufer gespült worden sei und der sein
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