Der Junge aus dem Meer
Zobelmann war schlichtweg sprachlos.
„Was diese Millionen Menschen betrifft“, sagte Großmutter Kubatz nach einer Weile wie aus heiterem Himmel, „wäre es jetzt vielleicht besser, wenn Alexander im Haus Seestern bliebe.“
„Wieso? Kann ich nicht ganz verstehen“, erwiderte der Chef der Bad Rittershuder Nachrichten verwundert. „Daß die Geschichte nicht gerade lustig ist, wissen wir schon von Anfang an. Vielleicht ist uns das jetzt besonders klargeworden, weil sich auch das Fernsehen eingeschaltet hat. Aber deshalb hat sich doch nichts verändert.“
„Eine Kleinigkeit schon“, gab die Großmutter zu bedenken. „Es könnte jetzt nämlich immerhin passieren, daß Alexander erkannt wird, wenn er irgendwo aufkreuzt. Und ihr wißt , wie die Menschen sind. Sie starren ihn dann an wie ein Kalb mit fünf Beinen. Wollt ihr das?“
Der schwarzhaarige Junge, dessen Gesicht kurz zuvor ein paar Millionen Menschen auf ihren Bildschirmen gesehen hatten, zog sich bereits den dunkelblauen Anorak, den ihm Emil Langhans geliehen hatte, über den Kopf.
„Eigentlich hätte mir das zuerst einfallen müssen“, gab Herr Kubatz zu. „Auch an den Kiosken hängen schon überall die neuesten Zeitungen mit seinem Foto.“
„Dann bleiben wir auch“, stellte Paul Nachtigall fest. Gleichzeitig hupten draußen die wartenden Taxis.
„Also, was passiert jetzt?“ fragte Herr Kubatz. „Wollen wir den ganzen Zirkus sausen lassen?“
„Auf keinen Fall“, protestierte Alexander, und gleich darauf grinste er. „Ihr seid ja nicht so bekannt wie Filmstars. Kein Mensch wird sich nach euch umdrehen.“
„Er hat im Knopfloch mehr Humor als ihr in euren Hosentaschen“, kicherte die Großmutter. „ Laßt uns jetzt allein, und paßt gut auf, damit ihr uns hinterher alles genau erzählen könnt.“
„Aber Alexander, ich bleibe wirklich...“ sagte Paul Nachtigall noch.
„Papperlapapp“, unterbrach ihn die Großmutter und winkte mit ihren Händen, als ob sie Hühner davonjagen würde. „Schiebt endlich ab, oder ich werde ungemütlich.“
Knapp zwanzig Minuten später begrüßte Herr Morgano seine Gäste und geleitete sie zu ihren Plätzen in der dritten Reihe vor dem Podium und überreichte seine Programmhefte mit einer Geste, als seien es Blumensträuße. Er trug einen nachtblauen Frack mit Aufschlägen, die wie Christbaumkugeln glitzerten. „Es ist mir eine große Freude“, sagte er und strahlte dabei wie ein Schneekönig: „Wir sind auch schon für morgen aus verkauft.“
„Das ist ja enorm“, gratulierte Herr Kubatz, und um gleichfalls etwas Freundliches zu bemerken, sagte seine Frau: „Das ist ja ein wunderschönes Zelt, das Sie da haben.“ Sie blickte sich um.
„Alles Plastik, kann in drei Stunden überall aufgebaut werden“, erklärte Herr Morgano in gebrochenem Deutsch. „Und braucht zum Transport nur einen Lastwagen.“
„Ach, und die übrigen Fahrzeuge, die ich gesehen habe?“ fragte der Chefredakteur neugierig. „Sind dann wohl so eine Art Wohnwagen für die Mitwirkenden?“
„Aber wir sind doch kein Zirkus, lieber Herr Kubatz!“ Der Direktor empörte sich, aber er lächelte dabei. „Die übrigen Wagen transportieren die Dekorationen und die Kostüme, die wir brauchen. Und abends während der Vorstellung benutzen wir sie als Garderoben zum Umziehen und zum Schminken. Aber ansonsten reisen meine Künstler selbstverständlich erster Klasse“, bemerkte er stolz. „Zum Beispiel morgen abend nach der Vorstellung nehmen sie noch den letzten Zug zum Festland, übermorgen gastieren wir nämlich bereits wieder auf einer anderen Insel, Nordstrand, und weil es Sonntag ist, gleich mit einer Nachmittagsvorstellung. Nein, bequem ist so eine Tournee wirklich nicht. Aber was soll man machen?“ Er verabschiedete sich vorläufig von Frau Kubatz mit einem Handkuß und verbeugte sich dann vor allen anderen so, als ob sie ihn gerade mit Beifall überschüttet hätten. „Wir sehen uns noch“, versprach er und verschwand.
Das Zelt hatte sich inzwischen bis auf den letzten Platz gefüllt, und die braungebrannten Feriengäste unterhielten sich so vergnügt, als würden sie am Strand liegen. Sie wollten einfach ihren Spaß haben und erwarteten bestimmt keine besonderen künstlerischen Darbietungen.
Auf eine eigene Kapelle hatte man, vermutlich aus Kostengründen, verzichten müssen. Dafür kam aus großen Lautsprechern Musik von einem Tonband.
Eine Weile dachten die Glorreichen Sieben noch an Alexander, der
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