Der Junge aus dem Meer
danke Ihnen dafür, daß Sie gleich mitgekommen sind.“
„Aber ich muß sofort zurück“, meinte der alte Mann besorgt. „Ich muß rechtzeitig vor der Abfahrt wieder an Bord sein, sonst ist der Teufel los. Ich habe alles stehen- und liegenlassen, weil Ihre Beamten sagten, daß es so wichtig sei.“ Tatsächlich hatte sich Herr Beckmann lediglich einen Mantel über seine weiße Stewardjacke gezogen.
„Genauso schnell wie unser Streifenwagen Sie hierher gebracht hat, wird er Sie zurücktransportieren“, meinte der Kommissar. „Wir haben eigentlich nur zwei Fragen...“
Schon fünf Minuten später hatte der junge Herr Lüders ein kurzes Protokoll getippt, der kahlköpfige Garderobier hatte es unterschrieben und war anschließend mit Blaulicht und Sirene zu seinem Schiff zurückgebracht worden.
„Nun, Herr Landauer?“ meinte der Kriminalkommissar hinterher. „Der Zeuge hat Sie also wiedererkannt und auch diese dunkelbraune Ledertasche. Wollen Sie immer noch behaupten, daß Sie heute nicht in List waren?“
Der Mann mit den Eulenaugen änderte jetzt von einer Sekunde zur anderen seine Taktik. Er gab sein Schweigen auf und wurde plötzlich gesprächig. Allerdings erfand er ein Märchen nach dem anderen und erklärte immer wieder, daß er bestimmt genauso unschuldig sei wie ein Maikäfer. „Sie wollen mir etwas unter die Weste jubeln, was gar nicht stimmt“, meinte er schließlich und blickte beleidigt über den Schreibtisch hinüber.
„Kein Wunder, daß wir heute Regenwetter haben“, knurrte der Kommissar. „Sie lügen ja das Blaue vom Himmel herunter. Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen, nahm einen neuen Zug aus der Zigarre und hüllte sich wieder einmal in Rauchwolken. „Offenbar ist Ihnen Ihre Lage immer noch nicht klar, Herr Landauer“, sagte er schließlich. „Sie sollten endlich damit aufhören, uns wie Idioten zu behandeln. Die Beweise reichen aus, und eingesperrt werden Sie so oder so. Aber wenn...“
„Eingesperrt?“ fragte der Mann mit den Eulenaugen entsetzt. „Sie können mich doch nicht festhalten?“
„...aber wenn Sie jetzt endlich ein Geständnis ablegen und die Wahrheit sagen“, fuhr der Kommissar fort und tat so, als hätte er die Frage des untersetzten Mannes in dem schwarzen Anzug gar nicht gehört, „dann ist es möglich, daß man Sie bis zur Anklage und bis zum Gerichtstermin vorerst laufenläßt . Wohlgemerkt, Sie können sich meine Worte auch an den Hut stecken und Ihr Geständnis in der Tasche behalten. Ich brauche es gar nicht, die Beweise genügen mir. Es wäre lediglich in Ihrem Interesse, wie gesagt.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Ich hole mir jetzt eine Tasse Kaffee. Wenn ich zurückkomme, sollten Sie wissen, was Sie wollen. Entweder Sie machen dann endlich den Mund auf, oder ich lasse Sie abführen. Ich bin nämlich schon die zweite Nacht auf den Beinen und hab’ keine Lust, mir die Zeit sinnlos um die Ohren zu schlagen.“
Als der Kommissar kurz darauf zurückkam, war Herr Albert Landauer so weich wie Butter. „Bitte fragen Sie“, sagte er leise und starrte vor sich hin.
Herr Michelsen hatte auch seinem Assistenten eine Tasse Kaffee mitgebracht. „Wollen Sie auch eine?“ fragte er jetzt den Mann mit den Eulenaugen.
„Vielleicht später“, entgegnete Herr Landauer. „Im Augenblick möchte ich alles so schnell als möglich hinter mich bringen.“
„Fangen wir also an“, meinte der Kommissar und setzte sich wieder in seinen Sessel. „Am 2. August so zwischen zwanzig und einundzwanzig Uhr ist das Geld aus dem Zimmer Nummer 24 im Hotel Lakolk verschwunden. Wo waren Sie um diese Zeit?“
„Entschuldigen Sie“, bemerkte der Mann mit den Eulenaugen. „Vielleicht können Sie mich besser verstehen, wenn ich einen Tag früher anfange, also mit dem Abend vorher. Da sah ich nämlich bei meinem Auftritt im großen Saal des Hotels den schwarzhaarigen Jungen zum erstenmal . Als ich das Publikum um seine Mitwirkung gebeten hatte, kam er zusammen mit zwanzig oder fünfundzwanzig anderen Leuten auf die Bühne. Aber ich nahm ihn als ersten zur Seite, weil ich sofort spürte, daß er ein besonders folgsames Medium sein würde. Und so war es dann auch.“
Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Albert Landauer seine Geschichte beinahe bis zum Ende erzählt hatte. Er berichtete gerade, wie er allein in seinem grauen Mietwagen und mit der dunkelbraunen Ledertasche auf dem Beifahrersitz wieder von List durch den Regen
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