Der Junge aus dem Meer
Taschen umdrehe?“ hatte Kommissar Michelsen zuvor höflich gefragt.
Jetzt öffnete er die beiden Schlösser und klappte die dunkelbraune Ledertasche auseinander.
„Aha, ein Schlafanzug, Hausschuhe, ein Reisenecessaire, eine Flasche Haarwasser...“ Er stockte plötzlich. „Und jetzt bin ich vermutlich auf eine Ölquelle gestoßen.“ Damit zog er ein Paket ins Freie, das in Zeitungspapier eingewickelt war. „Eine dänische Zeitung“, stellte er fest. „Mit Datum vom 7. August, also genau fünf Tage alt. Gestatten Sie, daß ich öffne?“ Albert Landauer funkte aus seinen großen grüngrauen Eulenaugen zu dem Kommissar hinüber.
„Lassen Sie den Unsinn“, meinte Herr Michelsen freundlich. „Mit Ihrer Hypnose sind Sie bei mir auf dem falschen Dampfer.“ Und damit klappte er das Zeitungspapier auseinander. „Ein ganzes Bündel dänische Kronen!“ Er schob das Geld zu dem jungen Herrn Lüders hinüber. „Zählen Sie mal nach.“ Jetzt nahm er einen Zettel von seinem Schreibtisch. „Es müßten haargenau 211 397 Kronen sein, wenn ich mich nicht irre, und auch das Datum stimmt.“ Er blickte auf. „Diese Summe wurde am 2. August im Hotel Lokalk gestohlen. Und zwar aus dem Zimmer Nummer 24.“
Der junge Herr Lüders zählte bereits das Geld.
„Das wären bei uns, über den Daumen gepeilt, runde hunderttausend Mark“, meinte der Kriminalkommissar anerkennend.
„Ich verweigere jede Aussage“, erwiderte der Mann mit den Eulenaugen.
„Das ist Ihr gutes Recht“, antwortete Herr Michelsen immer noch ausgesucht höflich. „Aber vielleicht plaudern wir ein wenig miteinander?“
„Ich beuge mich nur der Gewalt“, sagte der untersetzte Mann in dem schwarzen Anzug.
„Falsch“, entgegnete der Kommissar, und plötzlich war jede Freundlichkeit verflogen. „Sie löffeln jetzt gefälligst aus, was Sie sich eingebrockt haben.“
„Es sind wirklich 211 397“, bemerkte der junge Herr Lüders in diesem Augenblick. „Dänische Kronen, meine ich“, fügte er schnell hinzu.
Eine lange Nacht im Haus Seestern
Eine gute Viertelstunde lang blieb Herr Landauer stumm wie ein Fisch.
Erst jetzt holte Kommissar Michelsen die Schulbücher aus einer Schublade und warf sie auf den Schreibtisch. „Dazu haben Sie natürlich auch nichts zu sagen?“ fragte er.
„Nie gesehen“, erwiderte der Mann mit den grüngrauen Eulenaugen.
„Aber sie sind in dem Volkswagen gefunden worden, den Sie gemietet hatten“, stellte Herr Lüders fest.
„Erstens war ich überhaupt nicht in List, weil ich mehr im Süden der Insel herumgegondelt bin“, antwortete Herr Landauer, „und zweitens haben es Mietwagen so an sich, daß sie laufend den Besitzer wechseln. Diese Bücher sind also vermutlich von irgend jemandem vergessen worden, der das Auto vorher benutzt hat.“
„Und daß sie ausgerechnet einem Schüler namens Peter Grämlich gehören, ist reiner Zufall?“ fragte der Kommissar.
„Ich würde es so bezeichnen“, meinte der untersetzte Mann mit den Eulenaugen. Sein schwarzer Anzug zeigte immer noch Spuren des Verstecks unter der Bank im Zugabteil der Chinesenfamilie Chang Fing Fu.
Herr Michelsen hatte sich inzwischen wieder einmal eine Zigarre angesteckt und paffte zwei Rauchwolken in die Luft, um festzustellen, ob sie auch zog. „Sie haben sich eine Fahrkarte nach München gekauft und sich erkundigt, wie Sie von dort aus am schnellsten nach Rom kommen.“ Er blickte jetzt zu Herrn Landauer hinüber. „Natürlich auch nur ein Zufall, oder?“
Jetzt war Herr Landauer doch zusammengefahren und verfärbte sich: „Woher wollen Sie das wissen?“
„Seien Sie vorsichtig“, unterbrach ihn der junge Herr Lüders. „Wenn Sie behaupten wollen, daß die Sache mit der Fahrkarte nicht stimmt, und wir finden Sie nachher in Ihrem Jackett oder in Ihrer Brieftasche, dann sitzen Sie ganz schön in der Tinte. Überlegen Sie also genau, was Sie uns erzählen.“
Im selben Augenblick kam ein Polizist durch die Tür und flüsterte dem Kommissar irgend etwas ins Ohr.
„Er soll reinkommen“, meinte Herr Michelsen nach einer Weile. Er rieb sich die Hände, und dann sprang er in seiner ganzen Länge auf die Beine.
Gleich darauf erbleichte der Mann mit den grüngrauen Eulenaugen bereits zum zweitenmal . Mitten im Zimmer stand nämlich auf einmal neben einem Streifenbeamten der alte Mann mit dem Glatzkopf, der auf dem Fährschiff nach Römö die Garderobe bediente.
„Sie sind Herr Beckmann“, begrüßte ihn der Kommissar. „Ich
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