Der Junge aus dem Meer
sich auch Florian und die Glorreichen Sieben von ihren Plätzen erhoben.
Man wünschte sich gegenseitig einen guten Abend, und gleichzeitig entschuldigte sich der Kommissar für die späte Störung. „Ich habe das Gefühl, mitten in eine silberne Hochzeit hineingeplatzt zu sein.“
„Bah“, protestierte Großmutter Kubatz freundlich aus ihrem Ohrensessel. „Sie stören überhaupt nicht, im Gegenteil. Ich sagte Ihnen doch am Telefon, wie gespannt wir alle sind. Das ist schon gar nicht mehr zum Aushalten.“
„Ja, das stimmt“, meinte der kleine Professor Schreiber und ließ sich jetzt wieder in seinen Sessel fallen. „Wir alle kennen von der ganzen Geschichte ja nur einen Teil, und jeder einen anderen.“
„Vor allem wäre natürlich interessant, zu erfahren, was dieser Herr Albert Landauer ausgesagt hat“, bemerkte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten.
„Ich habe sein Protokoll mitgebracht“, erwiderte Herr Michelsen.
„Kommen wir also zur Sache“, schlug die Großmutter vor. „Aber zuerst darf ich die Herren von der Kriminalpolizei noch fragen, was ich für sie tun kann?“
„Wenn ein starker Kaffee möglich wäre“, erwiderten der Kommissar und sein Assistent beinahe gleichzeitig.
„Richtig, Sie sind schon die zweite Nacht auf den Beinen“, meinte das Schildkrötengesicht pfiffig. „Sie haben es uns ja deutlich genug wissen lassen.“
Während Fräulein Emma Zobelmann in ihrer blütenweißen Schürze einen Kaffee zubereitete, der alle Sprachen sprach, und zwischendurch immer wieder die herumstehenden Gläser mit frischer Erdbeerbowle füllte, packte der junge Herr Lüders seine Schreibmaschine aus und stellte sie vor sich auf den Tisch.
„Entschuldigen Sie“, meinte der Kommissar. „Es ist nur für alle Fälle.“
Und dann war es endlich soweit.
Das ganze Haus Seestern war dichter zusammengerückt. Die Großmutter hatte ihren Ohrensessel aus der Ecke zum Tisch schieben lassen, und weil die Stühle nicht für alle ausreichten, hockten die Glorreichen Sieben wie die Zuhörer eines arabischen Märchenerzählers mit angezogenen Knien auf dem Teppich. Im offenen Kamin tanzten die Flammen wieder einmal um die Holzscheite herum, der Rauhhaardackel namens Professor hatte sich über die Schuhe von Paul
Nachtigall geringelt, und der Wellensittich landete gerade mit seinem letzten Flügelschlag auf einer Klaviertaste. Dort blieb er vorläufig sitzen.
„Es sieht so aus, als ob ich anfangen müßte“, sagte Vater Grämlich. Er war Pfeifenraucher genau wie Herr Kubatz und paffte jetzt zwei kleine weiße Rauchwölkchen vor sich hin. „Ich meine, wenn wir der Reihe nach vorgehen wollen.“
„Einverstanden, Herr Grämlich“, sagte der Kommissar. „Sie leben in Iserlohn, so war es doch?“
„Iserlohn, Karlstraße 18“, erwiderte der Vater des schwarzhaarigen Jungen, der in seinem rot-blau karierten Hemd zwischen Karlchen Kubatz und dem Boß auf der Erde kauerte. „Verheiratet, Peter ist unser einziges Kind“, fuhr er fort. „Seit Jahren fahren wir in den großen Ferien auf die Insel Römö und dort genau nach Kongsmark in das Hotel Lakolk . Das hat unter anderem auch mit meinem Beruf zu tun. Ich bin Restaurator, und in Kopenhagen...“
„Entschuldigung“, mischte sich Hans Pigge mit seinem hellblonden Pagenkopf dazwischen. „Restaurator höre ich zum erstenmal .“
„Das kommt von restaurieren“, erklärte Herr Grämlich höflich. „Und restaurieren heißt soviel wie ,wiederherstellen’ . Ich habe mich auf alte Möbel und alte Bilderrahmen spezialisiert, auf Kunstwerke, die irgendwie beschädigt sind. Wenn ich sie ausbessere, dann ist der Witz dabei, daß man es hinterher nicht mehr sieht.“
„Danke“, sagte Hans Pigge, „jetzt weiß ich Bescheid.“
„Schön“, fuhr Herr Grämlich fort. „Also in Kopenhagen habe ich mehrere Kunden, und dort gibt es auch ein Museum, das gerade für meine Arbeit sehr wichtig ist.“
„Und deshalb jeweils der Urlaub in Dänemark“, meinte der Kriminalkommissar.
„Ja, Römö ist besonders schön, und von dort bin ich mit der Bahn schnell in der Hauptstadt“, antwortete Herr Grämlich. „So war es auch in diesem Jahr. Wir waren am 1. August gerade etwa vierzehn Tage auf der Insel. Und an diesem Abend fing die ganze Geschichte an...“
Herr Grämlich schlug die Beine übereinander und nahm wieder einen Zug aus seiner Pfeife. „Das Lakolk ist ein sehr großes Hotel mit einem eigenen Theatersaal und einem Spielkasino
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