Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
dem Baby nicht angetan.«
»Soweit Sie wissen «, sagte Hetzler.
»Sie liebte das Kind.«
»Aber später begann sie, Drogen zu nehmen?«
»Es war dieser Mann, Butchie. Er hat sie dazu verleitet.«
»Viele Familien werden durch Drogen zugrunde gerichtet, nicht wahr?«
Mrs Underhill nickte. »Damals war es Heroin. Jetzt ist es dieses Crack.«
»Wie alt war Angela, als Sie sie bei sich aufnahmen?«
»Sie war neun Jahre alt.«
»Welche Wirkung hatte der Tod ihrer Mutter auf sie?«, fragte Hetzler.
»Sie war völlig verstört. Sie hat zwei Monate nicht geredet. Ich habe sie zu Hause behalten.«
»Glauben Sie, dass sie über die Tragödie je hinweggekommen ist?«
»Würden Sie darüber wegkommen, wenn Sie eine ganze Nacht lang mit Ihrer toten Mutter im Dunkeln gelegen hätten, voller Angst, ob der Mörder zurückkommt, um sein Werk zu vollenden?«
»Nein, Mrs Underhill«, sagte er. »Ich glaube nicht.«
Elsie nickte. »Meine Enkelin war ein sanftes Kind. Sie tat nie jemandem etwas zuleide. Aber der Mann, der ihre Mutter getötet hat, hat auch in ihr etwas getötet. Nach dieser Nacht war etwas in Angela fort. Butchie ist im Gefängnisgestorben, aber was er ihr angetan hat, wird sie nie loslassen.«
»Es tut mir sehr leid, Mrs Underhill. Ich habe keine weiteren Fragen.«
Hetzler kehrte an den Tisch der Verteidigung zurück.
Louise Bost stand auf. »Die Anklage hat ihre Beweisführung beendet, Euer Ehren.«
»Die Verhandlung wird für heute vertagt«, sagte der Richter. »Ab morgen früh werden wir von der Verteidigung hören.«
Zu Hause im Wohnzimmer war es dunkel. Ich hatte mich auf der Couch zusammengerollt und telefonierte mit Dean, Ferngespräch.
»Wie läuft es in Texas?«, fragte ich.
»Ich bin früher fertig geworden. Jetzt bin ich in Kanada.«
»Na gut, wie läuft es im großen weißen Norden?«
»Kalt«, sagte er. »Langweilig. Nicht so toll.«
»Ich vermisse dich.«
»Ich vermisse dich auch, Bunny. Ich wünschte, ich könnte heimkommen.«
»Ja«, sagte ich.
»Also, ich besorge mir mal lieber was zu beißen, bevor sie hier auf dem Boulevard Ducharme die Bürgersteige einrollen.«
»Welche Küche ist im schicken La Tuque angesagt? Escargot à la Gretzky?«
Er seufzte. »PFK.«
»PFK?«
» Poulet Frit Kentucky. «
Glücklicherweise hatte ich keinen Tee oder Cola im Mund, sonst wäre mir alles zur Nase rausgeschossen.
»Das liebe ich besonders an dir, Bunny«, sagte Dean. »Dein Mitgefühl.«
Ach ja? Als hättest du nach dem Prozess gefragt. Oder dich daran erinnert, dass er stattfindet.
Doch ich schüttelte den Gedanken ab. Ich wollte gar nicht, dass er daran dachte. Oder danach fragte. Für Dean stand zu viel auf dem Spiel, als dass er sich auch noch darum kümmern konnte.
»Hey«, sagte ich betont heiter, »du weißt, dass du in Zeiten der kulinarischen Not mein volles Beileid hast, aber es ist verdammt witzig.«
»Weh mir!«, knurrte er. »Lass mich gar nicht erst anfangen.«
»Du bist schon so lange weg, es fühlt sich wie eine Ewigkeit an … Wann kommst du wieder?«
»Sie wollen mich mindestens eine Woche hier oben haben.«
»Eine Woche?«
Er antwortete nicht.
»Du meinst, du kommst nicht mal am Wochenende nach Hause?«
»Nein.«
»Oh.«
»Ich vermisse dich so, Bunny. Du weißt, wie gern ich zu Hause wäre.«
»Was ist mit der Hochzeit?«
Am Valentinstag.
»Ich tu mein Bestes«, sagte er. »Aber im Moment kann ich nichts versprechen.«
»Hey«, sagte ich, »du musst los, sonst bekommst du nichts mehr zu essen. Ich will dich nicht aufhalten.«
Eine Stunde später klingelte das Telefon wieder. Ich ging ran in der Hoffnung, dass es wieder Dean wäre, après-PFK.
»Hallo?«, sagte ich.
»Mad?«
Astrid.
»Ich gehe«, sagte sie. »Noch heute Abend.«
»Du gehst wohin?«
»Egal. Ich verlasse Christoph.«
»Okay«, sagte ich.
»Okay?«
Sie rannte wieder auf und ab. Ich hörte die Absätze auf dem Parkett.
»Astrid, ich habe einen langen, beschissenen Tag hinter mir und eine lange, beschissene Woche. Wenn du deinen Mann verlassen willst, bring es hinter dich. Es ist mir egal. Warum willst du überhaupt meine Meinung dazu hören?«
»Ich habe die Koffer gepackt«, sagte sie, als hätte sie mich nicht gehört, »und ich will, dass du mir etwas versprichst.«
Koffer packen war neu, aber mir hing die ganze Sache trotzdem zum Hals raus. »Ja. Sicher. Schieß los.«
»Du musst mir versprechen, dass Dean morgen geht.«
»Wohin geht?«
»Dass er
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