Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
dass Ihr Freund Ihren Sohn totgeschlagen hatte, was taten Sie da?«
»Nix«, sagte Angela.
»Was ist mit seiner Leiche passiert?«
»Albert hat sich drum gekümmert.«
»Was hat Albert mit der Leiche Ihres Sohnes getan? Hat er Teddy zum Friedhof gebracht?«
»Später.«
»Was also hat Albert an diesem Nachmittag mit Teddys Leiche getan?«, fragte Louise Bost.
Angela Underhill murmelte wieder etwas.
»Bitte sprechen Sie lauter, Ms Underhill. Wir können Sie nicht hören.«
Sie beugte sich über das Mikrofon. »Hat ihn in den Kühlschrank getan.«
Louise Bost trat zwei Schritte näher auf sie zu. »Teddys Leiche passte in den Minikühlschrank in Ihrem Motelzimmer?«
»Teddy war klein.« Angela nickte vor sich hin und starrte ins Leere.
»Wie lange ließen Sie und Mr Williams die Leiche Ihres Sohnes in diesem Kühlschrank, Ms Underhill?«
»Eine Woche.«
57
Die erste Reaktion auf Angela Underhills Geständnis, dass sie die Leiche ihres Sohnes eine Woche lang in einem Motelkühlschrank hatte liegen lassen, war kein Tumult, sondern das plötzliche Fehlen jedes Geräuschs. Wie das letzte Luftholen vor einem Hurrikan oder einem Tsunami: kein Vogelgezwitscher, kein Windhauch, nur das verräterische Gurgeln des abfließenden Wassers am Strand.
Und dann brachen Lärm und Bewegung aus. Niemand schrie oder redete laut – doch wir alle rutschten auf unseren Plätzen herum, murmelten oder seufzten und versuchten verzweifelt, das schreckliche Bild aus unseren Köpfen zu vertreiben.
Der Richter rief uns zur Ordnung.
Louise Bost wartete einen Augenblick, bevor sie wieder das Wort ergriff. »Ms Underhill, was taten Sie während dieser Woche?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie, die Stimme gebrochen und dünn.
»Redeten Sie und Ihr Freund darüber, was Sie mit Teddys Leiche tun sollten?«
»Ich weiß nicht.«
»Sie erinnern sich nicht?«
Angela Underhill ließ die Schultern sinken und starrte auf den Boden. »Wir waren high.«
»Erzählten Sie irgendjemandem, was passiert war?«
»Bin nicht rausgegangen.«
»Sie und Mr Williams sind eine Woche lang in dem Zimmer geblieben?«
Angela sagte: »Nur ich«, dann murmelte sie noch etwas, das klang wie: »Kind tot.«
»War es Ihre Idee, Teddys Leiche auf dem Friedhof zu verstecken?«, fragte Louise Bost.
»Weiß nicht.«
»Der Friedhof liegt in der Gegend, in der Sie aufgewachsen sind, nicht wahr?«
Angela zuckte die Schultern.
»Wo Ihre Großmutter Sie großgezogen hat?«, fragte Louise Bost.
Keine Reaktion.
Louise Bost kam näher. »Das Haus Ihrer Großmutter ist nur ein paar Straßen vom Friedhof entfernt, Ms Underhill. Sie kamen früher auf dem Schulweg jeden Morgen daran vorbei, und jeden Nachmittag, wenn Sie nach Hause gingen.«
»Einspruch«, sagte Hetzler ausnahmsweise eher zurückhaltend als streitbar. »Ich höre hier keine Fragen.«
Louise Bost wandte sich an den Richter. »Ich ziehe die Formulierung zurück.«
Der Richter nickte.
Louise Bost sah wieder zu Angela. »Wer hat die Leiche Ihres Sohnes aus dem Kühlschrank genommen?«
»Albert.«
»Was ist dann passiert?«
»Er hat Teddy in ’ne Sporttasche gesteckt.«
»Albert hat das getan?«
»Ja.«
»Und danach?«
»Hat ihn eingepackt. Is weggegangen.«
»Zum Friedhof?«
»Ich sag: ›Erzähl’s mir nicht. Geh anständig mit meinem Kleinen um.‹«
»Und Sie glaubten, das tat er?«, fragte Louise Bost.
»Was?«
»Glaubten Sie, Albert Williams würde anständig mit der Leiche Ihres Sohnes umgehen?«
Wieder senkte Angela Underhill den Blick und murmelte etwas.
»Es tut mir leid, Ms Underhill, aber ich konnte Sie nicht hören«, sagte Louise Bost.
»Hat mich angelogen.«
»Inwiefern?«
Angela sah auf, Louise Bost direkt in die Augen. »Hat gesagt, er hätte ein richtiges Grab bekommen, wo Teddy beerdigt wurde.«
»Aber so war es nicht?«
»Mein Kleiner ist tot, und Albert lässt ihn auf der Erde liegen. Gräbt ihm nicht mal ein Grab.«
»Und das machte Sie traurig?«, fragte Louise Bost.
Angela nickte. Vielleicht erwartete sie Mitgefühl.
Louise Bost ging auf sie ein. »Sie sind immer noch wütend deswegen, nicht wahr, Ms Underhill?«
»Ja.«
»Wütend, dass Albert Williams die Leiche Ihres kleinen Sohnes einfach in die Büsche geworfen hat, nachdem er ihn totgeschlagen hatte, ohne sich die Mühe zu machen, ihn richtig zu beerdigen.«
»Ja.«
»Ich würde sagen, dass viele Menschen hier im Saal auch wütend darüber sind«, sagte Louise Bost. »Aber da ist eine Sache, die
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