Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
ich noch nicht ganz verstanden habe, Ms Underhill. Vielleicht könnten Sie mich da aufklären?«
»Was?«
»Sind Sie wütend, weil Albert mit der Art, wie er die Leiche Ihres Sohnes loswurde, bewies, wie wenig Respekt er für das Leben Ihres Kindes hatte, oder weil Teddy in die Büsche zu werfen wie einen Sack Müll so verdammt nachlässig war, dass Sie beide irgendwann geschnappt werden mussten?«
Hetzler sprang auf die Füße und schrie: »Einspruch! «
»Ich ziehe die Frage zurück.«
Louise Bost wartete, bis es leise wurde.
»Ich habe keine weiteren Fragen an die Zeugin, Euer Ehren.«
58
Nach dem Mittagessen war Ms Galloway am Zug.
»Ms Underhill«, begann sie.
Ich hatte mich diesmal weiter nach vorne gesetzt, in die Nähe der rechten Wand, um die Geschworenen besser sehen zu können.
Ms Galloway machte eine Pause und sah ebenfalls die Geschworenen an, als wollte sie den Kontrast zu Hetzlers vertraulichem »Angela« unterstreichen.
Dann wandte sie sich wieder dem Zeugenstand zu. »Was Sie heute hier ausgesagt haben, unterscheidet sich sehr von dem, was Sie der Polizei am Anfang sagten, oder?«
Angela antwortete nicht.
»Tatsächlich«, fuhr Ms Galloway fort, »haben Sie die Polizei angelogen – und Ihre Großmutter –, was den Tod Ihres Sohnes anging, nicht wahr?«
»Wegen Albert«, sagte Angela. »Was er machen würde.«
»Sie hatten Angst vor Albert Williams?«
»Ja«, sagte Angela.
»Und deswegen haben Sie ihm die Schuld am Verschwinden Ihres Sohnes gegeben, als Sie endlich eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgaben? Weil Sie solche Angst vor Albert Williams hatten?«
»Nein, ich hab nur …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf.
»Können Sie uns noch einmal sagen, wie lange Sie gewartet hatten, bis Sie überhaupt zur Polizei gingen, Ms Underhill?«
»Ich weiß nicht genau. Nachdem, was passiert ist.«
»Und warum, Ms Underhill?«
»Ich war fix und fertig.«
»Waren Sie fix und fertig oder einfach nur high ?«, fragte die Anwältin.
»Ich war …« Angelas Stimme verlor sich wieder.
»Aber Sie erinnern sich, an welchem Tag Ihr Sohn starb, oder?«
»Ja.«
»Wann war das?«
»April.«
Galloway ging zum Tisch der Verteidigung zurück, nahm einen Stapel Unterlagen und drehte sich wieder zum Zeugenstand. »Der wie vielte April?«
»Vierzehnter.«
»Warum können Sie sich so gut an das Datum erinnern?«
Angela schüttelte kaum merklich den Kopf.
Ms Galloway trat näher. »Der vierzehnte April ist mehr als nur der Tag, an dem Ihr Sohn starb, nicht wahr?«
»Sein Geburtstag.«
»Sein Geburtstag?«, fragte Galloway.
Keine Antwort, nur ein kleines Nicken.
»Sprechen Sie lauter, Ms Underhill.«
Noch ein Nicken, und Teddys Mutter legte die Hände wieder auf ihren dicken Bauch.
Galloway hakte nach. »Sagen Sie uns, wessen Geburtstag auf den vierzehnten April fiel?«
Angela hob die Arme über den Bauch, als versuchte sie sich zu schützen – die geballten Fäuste vor dem Brustbein gekreuzt. »Teddys.«
Ein Raunen ging durch die Geschworenenbank, gedämpfte Kommentare und knarrende Stühle. Die Blicke hatten sich von Angela abgewendet und klebten an der Anwältin.
»An diesem Tag wurde Ihr Sohn Teddy drei Jahre alt, nicht wahr?«
Angelas Kinn sank auf ihre gekreuzten Handgelenke. »Ja.«
»Deswegen hatte Teddy die neuen Kleider an, die seine Großmutter ihm gekauft hatte, nicht wahr?«, fragte Galloway.
Ein kaum merkliches Nicken und leises Flüstern: »Ich hatte ihn extra schön angezogen.«
»Deswegen hatte Teddy die neuen Kleider an, als Sie seine Leiche in den Kühlschrank legten?«
»Einspruch!«, rief Hetzler.
»Nächste Frage, Ms Galloway«, sagte der Richter.
Sie nickte und wandte sich wieder an Angela. »Teddy starb also am vierzehnten April, aber Sie wissen nicht, wie lange Sie warteten, bis Sie eine Vermisstenanzeige aufsetzten?«
»Eine Weile. Ich war fertig.«
»Können Sie sich das hier mal ansehen?« Galloway ging zu ihr und reichte ihr ein Blatt Papier. »Das ist die erste Seite der Anzeige, die Sie aufgegeben haben. Können Sie das Datum oben lesen?«
»Es ist verschmiert«, sagte Angela.
»Dann nur den Monat.«
»Mai.«
»Es war also mindestens zwei Wochen später, ist das richtig?«
»Schätze schon.«
»Ihre Großmutter hatte Teddy sehr lieb?«
»Ja, hat sie.«
» Hatte sie«, berichtigte Galloway.
Angela schloss die Augen.
»Ihre Großmutter wollte Teddy noch viel mehr schenken als nur ein paar neue Kleider, nicht wahr?«, fuhr
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