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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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sein.
    Außerdem waren meine Eltern beide Kiffer, sodass Gras oder Hasch nie den Reiz des Rebellischen für mich besessen hatte.
    Koks war etwas anderes. Außerdem war es nicht gerade tonnenweise in Umlauf, und es war so leicht zu verstecken, so schwer zu entdecken, wenn man drauf war. Was war schon dabei?
    Und wer würde es mir zutrauen?
    Die Wohnheimeltern nicht, nicht mal das Disziplinarkomitee. Ich Glückspilz.
    Ich gab Astrid den Spiegel zurück, dann schlug ich dieLyrikanthologie auf einer beliebigen Seite auf, während sie zwei frische Lines für sich zurechtlegte.
    Vielleicht hatten wir uns gefunden, weil sie noch weniger von einem Zuhause hatte als ich und effektiv das gleiche Bargeldproblem. Meine Eltern hatten nichts und ihre gaben ständig alles aus, um den Anschein zu erwecken, sie hätten noch mehr. Also hatten wir beide früh gelernt, die Güte von Fremden in Anspruch zu nehmen.
    » Hier ist Belladonna «, zitierte ich, » die Herrin der Felsen/Die Herrin der Lage .«
    Sie zog eine Line, murmelte »Byron«, und zog die nächste.
    »Streng dich an, Veruca.«
    Astrid rollte sich vom Bett und ging zum Plattenspieler. »Wenn ich noch eine Sekunde länger ›Norwegian Wood‹ hören muss, erschieße ich mich. Lies noch zwei Zeilen vor.«
    »Was legst du auf?«
    »Vivaldi.«
    »Was zum Henker ist Vivaldi?«
    »Ihr habt einfach keine Kultur , Madeline. Gab es je ein Volk, dessen Gewissen jämmerlich ungebildet blieb …«
    »Ich bin höchst vertraut mit den größten Hits von Puccini«, erwiderte ich. »Mozart … Beethoven … Außerdem, du kannst mich mal.«
    Sie senkte die Nadel auf »Die vier Jahreszeiten«, Seite A, dann öffnete sie das Fenster und zündete sich eine Dunhill an.
    »Nicht schlecht«, sagte ich, als die erste Violine einsetzte und über die Streichermeute hinwegflog. »Guter Rhythmus – man könnte sogar drauf tanzen.«
    »Lies mir noch zwei Zeilen vor, du undankbares Flittchen. Die letzte war nichts wert.«
    Ich räusperte mich. » EIL DICH BITTE, ES IST ZEIT …«
    »Eliot!«, krähte sie triumphierend.
    »Titel?«
    Sie sah sich über die Schulter nach mir um und grinste. »›Teenage Wasteland‹?«
    » Exactamente , du gottverdammtes Genie.«
    »Eines Tages beherrschen wir die Welt, du und ich.«
    »Ganz sicher«, sagte ich. »Keine Frage.«
    »Sag das so, als würdest du es meinen.«
    Ich zupfte am Isolierband meiner Daunenjacke. »Klar.«
    Als ich mit fünfzehn an die Ostküste kam, hatte ich den kleinen Ausschnitt einer Welt entdeckt, wo mich meine angeborenen Impulse nicht mehr zur Aussätzigen, sondern zur Anführerin machten. I’d seen my light come shining, from the west down to the east .
    Jetzt war ich drei Jahre älter, und es war mir gar nicht recht, dass ich diesen sicheren Hafen wieder hatte verlassen müssen.
    Ich sah zu Astrid auf. »Ehrlich gesagt befällt mich wachsende Panik, dass ich verdammt dazu bin, einer dieser schrecklichen kleinen Typen zu werden, deren Glanzzeit die Highschool war.«
    »Herrgott noch mal, Madeline, wir sind die Königinnen der Welt«, sagte Astrid und trat mir gegen das Bein. »Heute und immerdar.«
    »Hör zu«, entgegnete ich, »hier, an diesem Ort, gehört uns jeder verdammte Raum, den wir betreten. Wir stellen uns hin und die ganze verdammte Schule tanzt nach unserer Pfeife, wir können ihnen jede Gefühlsregung rauskitzeln, nach der uns ist – Lehrern, Schülern, Verwaltungsleuten. Aus dem Stegreif, hundertprozentig, jederzeit. Du und ich, wir könnten mit den Fingern schnipsen und einen Aufstand anzetteln oder jeden Aufstand niederschlagen.«
    Sie nickte. »Absolute Macht.«
    Deswegen waren wir Freundinnen. Ich meine, mit wem zum Teufel konnte man über so was reden?
    »Absolute Macht«, sagte ich, dann zeigte ich zum Fenster. »Aber da draußen gelten andere Regeln. Da draußen herrscht Entropie … Chaos.«
    Ungeduldig verschränkte sie die Arme. »Sei nicht so ein Feigling.«
    »Ich bin kein Feigling, ich bin realistisch. Unsere einzige Waffe ist Charisma, Astrid, und das ist die Quintessenz alles Flüchtigen. Ein Schatten mehr, ein Licht getrübt …  – und schwups ist es fort.«
    »Blödsinn«, sagte sie. »Das Einzige, was dein Charisma kaputt machen kann, ist, wenn du dir unbedingt Zweifel einreden willst.«
    »Siehst du. Ich bin abgeschrieben.«
    Astrid blies eine Rauchwolke aus dem Fenster, dann drehte sie sich zu mir um. »Zieh die Jacke aus.«
    »Warum?«
    »Gib sie mir.«
    »Vergiss es. Das Fenster steht offen, und es

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