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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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schlanken dunkelhaarigen Schwester war.
    Ich beneidete Pagan, das geliebte Kind: meine anmutige Schwester, meine reizende Schwester. Die niemals frech wurde, die stets in der Lage war, der Versuchung einer scharfzüngigen Antwort zu widerstehen.
    Pagan war nicht die ständige, ungewollte, grünäugige,blonde Erinnerung an den ersten Mann meiner Mutter und dessen vollkommenem Desinteresse an unserem Unterhalt.
    Pierce lebte fünf Jahre lang in unserem Haus. Er gab Mom hundertfünfzig Dollar im Monat, und jede Glühbirne, jeder Hähnchenschenkel, jede Küchenrolle, jede Schüssel Cornflakes und jeder Liter Benzin, die davon bezahlt wurden, taten ihm im Herzen weh.
    Er hatte zwei verdammten Exfrauen Alimente gezahlt, und er wollte verdammt sein, wenn er die Rechnung für irgendein verdammtes Faulpelzarschloch beglich, dem nicht genug an seinen verdammten Kindern lag, um dafür zu sorgen, dass sie verdammte Schuhe an den Füßen trugen, wenn sie zur verdammten Schule gingen.
    Außer es ging um Pagan.
    Doch ich hatte alles absolut, vollkommen falsch verstanden: die Prämisse all dessen, woran ich mich erinnerte.
    Ich hätte es wissen müssen.
    Ich hätte es wissen müssen,
    ich hätte es verdammt noch mal WISSEN MÜSSEN.
    Ich erinnerte mich an einen Nachmittag, ich war vielleicht dreizehn, auf dem Rücksitz von Moms Wagen.
    Sie saß am Steuer, Pierce auf dem Beifahrersitz.
    Wir parkten vor jemandes Haus, um Pagan von einer Pyjamaparty abzuholen.
    Zu dritt sahen wir zu, wie ein Dutzend zehnjähriger Mädchen nacheinander aus dem Haus stolperte, im Arm zusammengerollte pastellfarbene Schlafsäcke und kleine rosa oder lila Übernachtungstaschen.
    Und während jedes der flaumarmigen, nacktbeinigen Kinder an uns vorbeiging, um in den Wagen seiner Eltern zu steigen, fällte Pierce mit affektierter Provinztheaterstimme sein Urteil, ob es sich um ein Nymphchen handelte oder nicht.
    Als Pagan neben mir auf der Couch jetzt in der Gegenwart sprach, sah ich immer nur diese Szene vor mir.
    Sie erzählte mir, wie er ihr, als sie elf war, einen Zungenkuss gegeben, seine Erektion an ihr Bein gedrückt und gefragt hatte, ob sie es schön finde, wie sich ein richtiger Mann anfühle.
    Sie erzählte von dem langen Wochenende in seiner Obhut, als Pagan im Ehebett eingeschlafen war, nachdem wir alle zusammen ferngesehen hatten, und Pierce sie weckte, indem er ihr die Hand zwischen die Beine schob.
    Ich fragte sie, ob sie es Mom gesagt hatte.
    »Natürlich habe ich ihr alles erzählt«, sagte Pagan und trank noch einen Schluck Bier.
    »Und was zum Teufel hat sie getan?«
    »Es war eine ziemlich merkwürdige Unterhaltung.«
    »Inwiefern?«
    »Na ja, zuerst hat sie mich ganz gluckenmäßig in Schutz genommen, aber dann war es, als würde sie nicht mehr richtig zuhören, und irgendwie schien sie ihre Meinung zu ändern.«
    »Welche Meinung?«
    »Ob das, was ich sagte, wirklich passiert war.«
    »Warte mal. Mom dachte, du hättest es dir ausgedacht ?«
    »Es war ein langes Gespräch.«
    »Ist völlig egal, wie lang es war – das ist doch total abartig! Ich meine, dein Kind kommt zu dir und vertraut dir etwas Schreckliches an … Mein Gott! «
    »Sie hat nicht ausgesprochen, dass sie denkt, ich lüge, aber ich hatte das Gefühl, ich musste sie von allem überzeugen, und je länger wir geredet haben, desto weniger glaubte sie mir. Oder wollte mir nicht glauben. Es wurde irgendwie so … rutschig. Als würde sie im Kopf von der Sache Abstand nehmen. Von mir. Am Ende hatte ich das Gefühl, sie war überhaupt nicht mehr da. Dabei wollte ich sie nur festhalten und von ihr hören: ›Ja, ich glaube dir, dass das wirklich passiert ist, und es ist falsch und ich bin so wütend, dass ich etwas dagegen tun werde.‹«
    »Hat sie was dagegen getan?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Was ist dann passiert? Wie ging es weiter?«
    »Sie war sauer auf mich und hat gefragt, warum ich mich so anstellen würde und immer nur das Negative sehen würde. Und dann wollte sie nicht mehr darüber sprechen.«
    Mein Griff um die Bierflasche wurde fester. Am liebsten hätte ich sie gegen die Wand geschleudert. Oder unserer Mutter an den Kopf. »Wann war das?«
    »Vor ein paar Jahren«, sagte sie. »Du warst schon im College.«
    »Habt ihr seitdem darüber gesprochen?«
    »Ich habe es ein paar Mal versucht, aber es schien keinen Sinn zu haben. Außerdem tut es weh. Die Tatsache, wie sie sich rauswindet.«
    »Wie sie sich rauswindet?«, wiederholte ich.
    »Anscheinend hat sie

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