Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
…«
»Ach so. Sie ist Astrids Freundin.«
»Bunny«, sagte Dean, »das ist Vincent Taliaferro. Mein Boss.«
»Bunny?« Das erntete noch ein Grinsen.
»Vinnie« , sagte ich, »haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
Als Taliaferro die Haustür abschloss, fuhr Christoph auf den Parkplatz. Astrid saß auf dem Beifahrersitz.
Als wäre Chauvinismus nicht Geißel genug.
Taliaferro zeigte mit seinem buttrigen Messer auf mich.
»Was zum Teufel kümmert Sie dieses Pack?«, sagte er, den Mund voll Weißbrot.
Trotz meines Tritts an sein Schienbein hatte Dean das Gespräch auf die Ermittlungen in Queens gelenkt.
Ich breitete die Serviette auf meinem Schoß aus. Taliaferro hatte sich seine in den Kragen gesteckt wie ein schneeweißes Lätzchen.
Er biss noch einmal in das Brötchen, kaute und spülte mit Eiswasser herunter. »Ich wette, Sie wissen nicht mal, was ein Moolie ist, Madeline?«
Ich nickte kurz. Klar wusste ich es: die rassistische Slangabkürzung des italienischen Worts für »Aubergine«.
»Tun Sie sich einen Gefallen«, sagte er, »und sehen Sie sich hier mal um.«
Der dunkelgrüne Gastraum hatte einen Wintergarten wie bei Burger King. An der Wand hingen jede Menge gerahmte Rose-auf-Klavier-Poster, über dem Tresen zwei große Fernseher mit Sportsendern.
Taliaferro fuchtelte mit dem Messer herum. »Hübsch hier, oder?«
»Reizend«, sagte ich.
Er legte das Messer hin, Griff auf der Tischdecke, Klinge auf dem Butterteller. »Und wissen Sie auch, warum?«
»Klären Sie mich auf.«
Taliaferro rieb sich mit dem Daumen den Handrücken der anderen Hand. »Weil hier alles eine Farbe ist, deswegen.«
Christoph lächelte. Astrid hinter ihrer Sonnenbrille war immer noch auf Planet Chanel.
Dean griff in den Brotkorb und vermied es schlauerweise, mir in die Augen zu sehen.
Als ich mich vorbeugte, krachte mein Gips gegen die Tischkante. »Ein kleines Kind wurde totgeschlagen, Vinnie. Ich habe sein Skelett gefunden. Es hat buchstäblich nichts mit der Farbe seiner Haut zu tun.«
Taliaferro griff am Essig-und-Öl-Ständer vorbei, um mir die Hand zu tätscheln, in seinem Gesicht Mitgefühl, das ich nicht wollte.
»Das sind verdammte Tiere, Schätzchen«, sagte er. »Sehen Sie nur, was Sie aus Newark gemacht haben.«
Christoph nickte. »Solche Gespräche sind so erbaulich, weil mir bestimmte Aspekte eurer Landeskultur immer noch nicht ganz klar sind.«
»Ach ja?«, fragte ich. »Welche denn?«
»Mehr Wein?«, fragte Dean.
Christoph hielt ablehnend die Hand über sein Glas.
»Wir helfen gern«, sagte ich, »wenn wir Licht auf irgendeinebesonders verwirrende Nuance des amerikanischen Lebens werfen können!«
Dean trat mir auf den Fuß.
Ich trank einen Schluck Bier, dann lächelte ich Christoph an, der am anderen Tischende saß, während ich das Knie in den Schenkel meines Mannes rammte.
»Nun, Madeline«, sagte Christoph und lächelte zurück, »ich muss zugeben, dass ich es erstaunlich finde, wie ihr es zum Beispiel mit den ganzen Niggern aushaltet.«
Beinahe hätte ich mich an meinem Heineken verschluckt. » Wie bitte?«
»Ehrlich«, fuhr er fort, »warum schickt ihr sie nicht alle zurück?«
Oh Gott, Astrids Nazi-Geschenk war vielleicht wirklich ein Hilferuf gewesen.
Ich sah Dean an, der sich plötzlich brennend für die Vögel vor dem Restaurantfenster zu interessieren schien.
»Christoph« , sagte ich.
»Maddie?«
»Ich muss mich schon wundern.«
»Warum?« Er lächelte wieder mit diesen Fältchen um den Augen.
»Hast du nicht etwas vergessen?«
»Vergessen?«, fragte er.
Ich beugte mich über den Tisch und tätschelte ihm die Hand. »Ich dachte, das wäre die Stelle, wo du aufspringst und ›Deutschland, Deutschland über alles‹ singst.«
Christoph schürzte die Lippen und runzelte die Stirn.
»Nicht doch«, sagte er. »Ich bin Schweizer.«
Auf dem Rückweg ins Büro kickte ich auf dem Parkplatz einen Flaschendeckel ins Unkraut.
»Das ist toll gelaufen«, sagte Dean.
»Tut mir leid.«
Er seufzte.
»Hör zu«, sagte ich, »ich bin in Kalifornien unter wilden Hippies aufgewachsen. Die einzigen Informationen dazu, wie sich eine Ehefrau bei einem Geschäftsessen zu benehmen hat, habe ich aus Verliebt in eine Hexe .«
Die Sommerferien bei meinen Großeltern ließ ich aus. Im Yachtclub hatte ich schließlich auch keine nützlichen Hinweise aufgelesen. Über Geld wurde dort nicht gesprochen, und über Arbeit erst recht nicht. Bei Tisch ging es hauptsächlich um Cocktailbestellungen
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