Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
das Becken auf. Er macht die Enten sauber. Er setzt sie ins Wasser. Er holt die Stäbe und die Haken und legt sie für die Kunden bereit. Er holt die Goldfische aus dem Becken und setzt sie in Plastiktüten – mit viel Wasser. Während er sie aufhängt, verspricht er ihnen, dass sie nur in gute Hände kommen werden. Den dreizehnten Fisch lässt er natürlich im Becken. Er schwimmt graziös durchs Wasser und wünscht seinen Gefährten viel Glück.
    Als alles erledigt ist, klatscht Dostojewski Beifall. Er sieht Nitascha aus dem Wohnwagenfenster gucken und deutet auf Stan, als würde er gleich platzen vor Stolz. Nitascha runzelt die Stirn.
    „Du bist’n Naturtalent“, sagt er. „Es is so, als wärste dafür geboren.“
    Stan holt sich Papier und einen Stift. Er setzt sich ins Gras und schreibt in seiner schönsten Handschrift ein paar Verträge.

    Nitascha kommt aus dem Wohnwagen. Ihre Augen sind müde und geschwollen und sie trägt ein schmutziges altes Nachthemd.
    „Was ist das?“, fragt sie und nimmt einen der Verträge in die Hand. Sie liest ihn und schnaubt. „Liebe!“, sag sie. „Liebe! Pah! Glaubste, dass sich noch irgendjemand darum kümmert, wenn er um die Ecke gebogen is?“
    „Ja“, sagt Stan. „Die Leute müssen es versprechen.“
    Sie schnaubt noch einmal. „Versprechen!“

    „Kümmer dich nich um sie, Stan“, sagt Dostojewski. Er betrachtet seine Tochter und schüttelt den Kopf. „Sie war früher so’n liebes Mädchen.“
    „Früher? Früher?“ , wiederholt Nitascha.
    „Aber das“, sagt Dostojewski, „war zu ’ner Zeit, als es noch eine Frau Dostojewski gab.“
    Nitascha guckt ihn böse an. Sie stapft zurück zum Wohnwagen, geht hinein und schlägt die Tür hinter sich zu.
    „Frau Dostojewski?“, sagt Stan fragend.
    „Ja“, sagt Dostojewski. „Meine Frau. Nitaschas Mutter. Sie is mit ’ner Balletttruppe nach Sibirien gefahr’n und nie wiedergekommen.“
    Die Wohnwagentür schwingt nach außen auf. Nitascha beugt sich vor. „Sie hat gesagt, sie würde mich mitnehmen, wenn du’s genau wissen willst!“, faucht sie und guckt Stan böse an. „Was sagst du jetzt?“
    „Ich weiß nicht“, sagt Stan.

    „Dann meinte sie auf einmal, ich hätte nicht genug geübt! Und was hat sie dann gemacht?“
    „Sie ist nach Sibirien gefahren?“, vermutete Stan.
    „Ja! Sie ist nach Sibirien gefahren! Einfach so.“ Wieder schlägt Nitascha die Tür zu.
    „Wirklich nach Sibirien?“, fragt Stan ungläubig.
    „Vor mehr als einem Jahr“, sagt Dostojewski.
    Erneut schwingt die Tür auf. „Ich hoffe, sie steckt in einer Schneewehe fest!“, brüllt Nitascha. „Ich hoffe, sie ist zu Eis erstarrt!“ Die Tür schlägt zu.
    „Um ehrlich zu sein, Stan“, seufzt Dostojewski, „glaub ich, dass Frau Dostojewski ’n bisschen enttäuscht von mir war. Sie hatte Träume und Ambitionen, und Entenangeln auf’m Jahrmarkt war nun wirklich nich ihr Niveau. Nun, seitdem hat sich Nitascha verändert.“
    Wieder geht die Tür auf. Nitascha stapft zu Stan. „Das ist ein Bild von ihr, wenn du’s genau wissen willst!“

    Stan nimmt das Foto. Es zeigt eine schlanke Frau, die mit wehenden Haaren und einem wehenden Kleid durch die Luft springt.
    „Sie sieht wunderschön aus“, sagt er.
    „Wunderschön!“, schnaubt Nitascha. Sie reißt ihm das Foto aus der Hand. „Gib her“, sagt sie, „bevor’s noch dreckig wird.“ Sie stapft wieder in den Wohnwagen und schlägt die Tür hinter sich zu.
    Dostojewski zuckt mit den Schultern. Noch einmal schwingt die Tür auf.
    „Sie war wunderschön!“, schreit Nitascha.
    Dann schlägt die Tür wieder zu.
    Stan fühlt, wie etwas an seinem Arm zupft. Ein kleiner Junge steht neben ihm. „Darf ich bitte eine Ente angeln?“, fragt er.
    „Oh ja, das war sie!“, schreit Nitascha durch die geschlossene Tür.

Neunzehn
    Stan ist begeistert von seinem ersten Morgen an der Entenbude. Es ist alles so anders als in dem verrückten, vollgestellten Haus in der Fischzuchtgasse. Kleine Gruppen und Familien spazieren an den Fahrgeschäften und den Buden vorbei. Musik dröhnt aus der Berg-und-Tal-Bahn. Von der Achterbahn, die durch den Himmel donnert, kommt ein Kreischen. Der kleine Junge ist der Erste von vielen, die an diesem Morgen zum Entenangeln kommen. Stan hat einen Geldgürtel um den Bauch. Es dauert nicht lange, und es steckt ein ganzes Bündel Geldscheine darin, und die Münzen scheinen eine Tonne zu wiegen. Stan hilft den Kindern, mit den Stäben und Haken zu

Weitere Kostenlose Bücher