Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
nicht, was das bedeutet. Aber ich weiß, dass du jemanden zurückgelassen hast.“
„Ja. Meine Tante und meinen Onkel. Annie und Ernie. Können Sie auch ihre Zukunft sehen?“
Wahrsager-Rosi schüttelt den Kopf. „Nein. Aber vielleicht werden dein Herz und der Mond dafür sorgen, dass sie zu dir kommen.“
„Der Mond?“
„Der Mond ist voller Sehnsucht, der Sehnsucht menschlicher Herzen. Ist dir noch nie aufgefallen, dass er stets dann am hellsten leuchtet, wenn wir uns vor Sehnsucht verzehren?“
Stan weiß keine Antwort. Ist es wahr? Er schaut hinauf in den Mond und denkt an seine Tante und seinen Onkel. Und ja, das Licht scheint heller zu werden.
„Annie und Ernie sehen denselben Mond wie du“, sagt Wahrsager-Rosi. „Haben auch sie ein gutes Herz?“
„Ja“, sagt Stan. Dann denkt er an Ernie und an die Dose mit den Goldfischen, und er blickt zu Boden. „Aber …“
„Aber sie haben Fehler gemacht.“
„Ja.“
„Wie wir alle. Wenn ihre Herzen gut und aufrichtig sind, dann wird das Licht des Mondes, das mit deiner Sehnsucht leuchtet, sie zu dir ziehen. Aber du wolltest gerade etwas erledigen, nicht wahr?“
Stan schluckt. „Ich muss pinkeln“, flüstert er.
„Dann geh“, sagt Wahrsager-Rosi. „Schau, dort unter den alten Bäumen sind die Schatten am tiefsten.“
Stan wendet sich von ihr ab. Er huscht in die Schatten unter den Bäumen und pinkelt in das silbrige Dunkel. Als er wiederkommt, ist sie fort. Und ein Stück weit entfernt stapft die dunkle Gestalt von Dostojewski über das Feld und ruft nach ihm.
Siebzehn
Als sie endlich zum Wohnwagen zurückkehren, schlüpft Stan in ein schmales Bett und deckt sich zu, den dreizehnten Fisch und seine Gefährten an seiner Seite. Der Mond scheint durch das kleine Fenster in den Wohnwagen, und Stan blickt zu ihm hoch und schickt seine Sehnsucht in die Nacht. Dann schläft er ein. In seinen Träumen leuchten ihm wütende Polizisten mit Taschenlampen in die Augen und warnen ihn, er solle sich benehmen. Von der Erde lodert ein Feuer auf und verwandelt sich in den Mond. Stimmen murmeln und flüstern und lachen und singen. Er sieht Riesen und Zwerge und dreiköpfige Schafe. Der starke August hebt ihn hoch, wirft ihn in den Himmel und fängt ihn wieder auf. Ein Mann mit einem Tiger auf dem Rücken jagt ihn in einen Wald. Enten drehen sich um seinen Kopf im Kreis. Dann ist er im Wasser. Er schwimmt und auf seinem Rücken wächst eine Flosse. Meine Gefährten , weint er. Oh, wo sind meine Gefährten! Er sieht Annie und Ernie auf der Straße am Meer entlanggehen. Sie sehen alt aus, ausgemergelt und verhärmt. Er ruft nach ihnen, greift nach ihnen, und dann hört er eine Stimme, wie aus weiter Ferne: „ HOCH MIT EUCH! RAUS AUS DEN FEDERN! ES IST SECHS UHR! WIR MÜSSEN ANFANGEN! DIE ARBEIT RUFT! “
Stan schreckt aus dem Schlaf. Ist er wieder in der Fischzuchtgasse? Fängt das Eindosen wieder an? Nein, er ist im Wohnwagen. Die Stimme gehört Dostojewski.
„Es ist sechs Uhr. Raus aus den Federn, wir müssen den Stand aufbauen. Die Arbeit ruft.“
Achtzehn
Eine Entenbude aufzubauen, ist leicht, besonders wenn sie zuvor schon viele Jahre lang immer wieder an den verschiedensten Orten aufgebaut worden ist. Stan und Dostojewski machen sich an die Arbeit. Sie stecken die Bretter zusammen, rammen Pfosten für die Überdachung in den Boden, werfen die Plane darüber und binden sie mit ein paar Seilen fest. Dann treten sie zurück und bewundern ihr Werk, einschließlich der roten Schrift:
Dann holen sie das Becken für die Plastikenten und stellen es in der Mitte auf. Stan macht die Arbeit Spaß, wie immer, wenn er mittendrin ist. Er rennt hin und her und holt Wasser aus dem Hahn am Rande des Platzes. Er füllt Eimer um Eimer und gießt ihn in das Becken. Während er hin- und herrennt, merkt er, dass er schon Freunde gefunden hat. Viele Leute grüßen ihn und winken.
Ringsum werden Buden und Fahrgeschäfte aufgebaut. Die Sonne scheint. Der Jahrmarkt wächst mit jeder Stunde. Es gibt eine Bimmelbahn für die ganz kleinen Kinder, mit Wagen in Form von Teetassen. Es gibt ein Karussell und Autoskooter. Es gibt ein Spiegelkabinett, ein Spukhaus, eine Geisterbahn und Draculas Schloss. Es gibt Schießbuden und Wurfbuden. Es gibt Hotdogs und Pommes frites und Würstchen und Hamburger und Rippchen und Steaks. Stan sieht den Wohnwagen von Wahrsager-Rosi, neben dem das kleine Pony steht. Es gibt noch mehr Wagen mit fremdartig klingenden Namen darauf. Stan füllt
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