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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Stan.
    Wieder herrscht Stille. Nur die letzten Rufe, das letzte Lachen und das letzte Aufheulen des Jahrmarkts tönen noch durch die Nacht.

Siebenundzwanzig
    Der Morgen ist klar und strahlend. Stan erwacht aufgeregt. Es ist fast so, als hätte er wieder Geburtstag. Er hilft Dostojewski, den Stand aufzubauen, die Enten ins Wasser zu setzen und die Goldfische in ihren Plastikbeuteln aufzuhängen. Er geht ein paarmal zum Wohnwagen und ruft nach Nitascha, aber er bekommt keine Antwort, außer einem gelegentlichen Grunzen.
    Dostojewski legt den Arm um Stans Schulter. „Lass es gut sein, mein Jung“, sagt er. „Ich weiß, wie sie ist. Geh einfach allein.“
    Stan seufzt. Er will schon alleine losgehen wie an seinem Geburtstag, als sich die Wohnwagentür öffnet. Und da steht Nitascha, schüchtern und mit rotem Gesicht. Sie trägt ein Kleid mit Blumenmuster, hat sich das Gesicht gewaschen und die Haare gekämmt.
    „Nitascha!“, sagt ihr Vater erstaunt.
    Sie kann ihm nicht in die Augen schauen.

    „Du siehst wirklich entzückend aus“, sagt er.
    Er greift in seine Tasche, kramt etwas Geld hervor und drückt es ihr in die Hand. Stan sieht Tränen in seinen Augen schimmern.
    „Geh schon, Liebes“, sagt Dostojewski. „Ich wünsche dir …“
    „Viel Spaß“, flüstert Stan.
    „Viel Spaß“, sagt Dostojewski.
    „Sag Danke‘“, flüstert Stan Nitascha zu.
    „Danke“, murmelt sie. Dann hebt sie kurz den Blick. „Danke, Papa.“
    Stan ist so stolz und glücklich. Nitascha geht an seiner Seite über den Jahrmarkt. Sie kommen am Autoscooter vorbei und an der Ringkampfarena. Der Mann am Grill Zum wilden Eber fletscht grinsend die Zähne.
    „Haste dir ’ne Freundin angelacht?“, knurrt er.
    Stan beachtet ihn nicht und blickt zu den Bäumen. Es ist seltsam: Heute sieht das Zelt aus wie ein bemaltes Zelt. Die Zeltwände bewegen sich leicht im Wind, und die Bäume, die gestern noch aussahen wie echte Bäume, sind bloß gemalt. Die Malerei wirkt unförmig, als ob sie von einem Kind stammen würden; die Farbe blättert an einigen Stellen ab. Und an dem Zelt hängt ein Schild:

    „Wieso pfeifste denn nich?“, fragt der Ebermann.
    Stan sagt nichts.
    „Haste deine Zunge verschluckt?“
    Stan sagt nichts.
    „Kennste die Geschichte von dem Mann, der einen Eber gefressen hat?“, fragt der Mann.
    „Ja!“, sagt Stan.
    „Aha! Dann kennste auch die Geschichte von der Welt, die sich in ein Zelt verwandelt?“
    „Nein“, sagt Stan.
    „Zum Schluss sah sie aus wie’n Zelt!“ Der Ebermann keucht vor Lachen.
    Am Eingang des Zeltes wird die Klappe zurückgeschlagen und Herr Smith kommt herausgeeilt. „Brauchst du schon wieder neue Goldfische?“, fragt er.
    „Nein“, sagt Stan.
    „Du schaust dir wohl das Zelt an, was?“
    „Ja“, sagt Stan.
    „Und du denkst, dass es aussieht wie ein Zelt, nicht wahr?“
    „Ja“, sagt Stan.
    „Aber sicher sieht es aus wie ein Zelt!“, ruft Herr Smith. „Es ist ein Zelt. Wieso sollte es anders aussehen als ein Zelt?“
    „Ich weiß nicht“, sagt Stan.
    Herr Smith schaut auf seine Armbanduhr. „Hör mal“, sagt er. „Das Zelt sah gestern aus, wie es aussah, weil gestern gestern war. An manchen Tagen sehen wir die Dinge … deutlicher als an anderen. Verstehst du?“
    „Nein“, sagt Stan.
    „Nein“, sagt Nitascha.
    Herr Smith denkt nach. Er schaut wieder auf seine Uhr. „Ich auch nicht“, gibt er zu. „Jetzt macht mal Platz. Ich bin nämlich auf dem Weg zum großen Pancho Pirelli. Und da bin ich nicht allein, wie ihr sehen könnt.“
    Stan dreht sich um und sieht unzählige Menschen in dieselbe Richtung strömen. Herr Smith eilt ihnen nach und Stan und Nitascha folgen ihm.



Achtundzwanzig
    Hier sind wir also. Schauen wir uns um. Im Herzen des Jahrmarkts gibt es einen freien, grasbewachsenen Platz, auf dem sich Leute versammeln. Sie bringen Picknickkörbe mit, Thermoskannen mit Kaffee, Bierkästen, Weinflaschen. Ein paar Feuer sind angezündet worden und es riecht nach gegrilltem Fleisch und gegarten Kartoffeln. Kinder raufen sich, rennen herum und tanzen. Babys glucksen und weinen.
    Nitascha bleibt dicht bei Stan. Sie schlängeln sich durch die Menge zu einem Anhänger. Über den Anhänger ist eine blaue Plane gespannt, auf der in riesigen goldenen Buchstaben ein Name steht:
    ! Pancho Pirelli !
    Ein paar Leute sprechen die beiden im Vorübergehen an. „Hallo, Stan.“ – „Wie geht’s, Nitascha?“
    Stan hört sie kaum. Seine Augen kleben an dem Anhänger, an

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