Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
behauptet, er sei gefressen worden.“
„Gefressen?“, fragt Stan fassungslos.
„Ja. Aber das stimmt wohl nicht. Vielleicht ist er nur ein bisschen angeknabbert worden.“
„Man sagt, er wird alt. Man sagt, irgendwann fressen ihn die Fische ganz, wenn er nicht aufpasst.“
Stan hat so viele Fragen, aber die Kinder zerstreuen sich. Sie rennen davon, um ihren Familien und Freunden zu erzählen, dass sie neben dem großen Pancho Pirelli gestanden haben.
Fünfundzwanzig
Dostojewski ist sehr zufrieden mit den Fischen. Er meint, das sei eine glänzende Auswahl. Er hält den Atem an. „Hast du gehört, was ich gerade gesagt habe?“, wundert er sich. „Eine glänzende Auswahl! Noch vor wenigen Tagen hättest du bis zum Jüngsten Gericht warten können, ehe du etwas Derartiges aus Dostojewskis Mund gehört hättest. Oder bist du anderer Meinung?“
Stan zuckt mit den Schultern. „Nein“, sagt er.
„Du bist schon ein komischer Vogel“, sagt Dostojewski und blickt in Stans Gesicht.
„Ich?“
„Ja, du. Du hast einen ganz schönen Einfluss auf mich, mein Jung.“ Er öffnet eine Flasche Bier und trinkt einen Schluck.
Der Himmel glüht erst feuerrot und dann verdunkelt er sich. Er wird dunkler und dunkler. Dostojewski meint, dass Geschäfte wie eine Entenbude in der Dunkelheit nicht gut laufen. Sie sind zu zahm für die Nacht, sagt er. Die Leute wollen bunte Lichter und den Nervenkitzel der Berg-und-Tal-Bahn. Sie wollen in der Achterbahn kreischen und heulen. Sie wollen sich im Spukhaus fürchten und atemlos die akrobatischen Künste der Motorradfahrer in der Todeswand verfolgen. Sie wollen sich drehen, wollen wirbeln und fallen und aufsteigen. Sie wollen sich an fettigen Würstchen und scharfen Soßen laben.
Dostojewski setzt sich auf die Stufen, die zum Wohnwagen hochführen. Stan setzt sich neben ihn. Der Mond geht über dem Jahrmarkt auf und Lichter, Musik und Stimmen erfüllen die Nacht.
Stan erzählt ihm von Pancho Pirelli.
„Also ist es wahr“, murmelt Dostojewski. „Er ist wieder da.“
„Was für eine Nummer führt er eigentlich vor?“, fragt Stan, aber Dostojewski schüttelt den Kopf.
„Das musst du dir selber ansehen. Du kannst morgen hingehen.“
„Er hat mit mir geredet, Herr Dostojewski.“
„Das ist eine Ehre für dich.“
„Er hat gesagt, dass er auf mich gewartet hat.“
„Wirklich?“ Dostojewski streckt die Hand aus und strubbelt Stan durch das Haar. „Ich hatte das gleiche Gefühl.“
„Was für ein Gefühl?“
„Wegen dir. Als ich dich die Enten schrubben sah und dann später, als du die Fische mit Flusswasser gerettet hast, da hatte ich das Gefühl, du bist mir geschickt worden. Als ob du was Besonderes wärst.“ Er grinst. „Aber vielleicht werde ich auch nur ein bisschen tüttelig.“ Er grinst wieder. „Aber wie ich schon sagte“, ergänzt er dann. „Du bist ein komischer Vogel.“
Sie schweigen eine Weile und starren den Mond an.
„Das sind die Freuden des Wanderlebens“, sagt Dostojewski.
„Was denn?“, fragt Stan.
„Die einfachen Dinge, mein Jung. So wie das hier: Auf den Stufen vor’m Wohnwagen sitzen und den herrlichen Mond betrachten. Es heißt, der Mond macht die Leute verrückt. Es heißt, man soll sich nicht so viel vom Mond bescheinen lassen.“
„Davon habe ich schon gehört“, sagt Stan.
„Und? Glaubst du daran?“, fragt Dostojewski.
Stan zuckt mit den Schultern. Er weiß nicht genau, woran er glaubt.
„Manche Leute meinen aber auch“, sagt Dostojewski, „dass Mondlicht was Gutes ist. Dass wir alle ein Quäntchen Verrücktheit in uns brauchen. Glaubst du daran , mein Jung?“
Stan denkt darüber nach. Er denkt über die Welt nach. Er denkt über sich selbst nach und die seltsamen Dinge, die er erlebt hat. Er schaut in den Himmel und ins Universum. Er stellt sich vor, dass es endlos so weitergeht, bis zu den Sternen und darüber hinaus und noch viel weiter. Und er weiß, dass er nie aufhören wird, zu staunen und über die Dinge nachzudenken.
„Nun?“, flüstert Dostojewski. „Brauchen wir alle ein Quäntchen Verrücktheit in uns?“
Irgendwo bellt ein Hund. Die Luft trägt ihnen eine liebliche Melodie zu, gesungen von einer Frauenstimme. Sie durchdringt das Heulen der Fahrgeschäfte und das Kreischen der Besucher.
„Vielleicht haben wir es alle ins uns“, sagt Stan, „ob wir wollen oder nicht.“
Dostojewski nickt. Er betrachtet Stan mit Zuneigung und Respekt. „Das ist sehr weise“, sagt er.
Sie entspannen
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