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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Sie“, sagt er. „Mich können Sie nicht zum Narren halten. Vor Pancho Pirelli kann man sich nicht verstecken. Sie haben kein Geld? Ach, aber irgendwo muss doch eine Münze stecken, eine klitzekleine bloß. Ein winziges Kupferstück. Holen Sie es heraus, werfen Sie es in den Beutel, und Sie werden die größte Vorstellung erleben, die Sie je gesehen haben. Danke, verehrte Dame. Danke, mein Herr.“
    Endlich lächelt er. Er bringt den Beutel, der schwer ist von Münzen, zu Stan. „Passt du für mich darauf auf, bis ich wiederkomme?“, fragt er.
    „Ja“, sagt Stan und nimmt den Beutel von ihm entgegen.
    Pancho löst das Band seines Umhangs am Hals. Der Umhang fällt ihm von den Schultern. Er trägt eine blaue Badehose. Er hält Stan auch den Umhang hin. „Und darauf auch?“, fragt er.
    Stan nimmt den Umhang. Pancho steigt die Leiter hoch. Er setzt die Taucherbrille auf. Er beugt sich über den Rand des Beckens. Und dann ist er drin.

Dreißig
    Die Menschen legen die Hände vor die Augen und wenden die Gesichter ab. Sie keuchen entsetzt auf. Sie stellen sich vor, wie das Wasser des Beckens rot wird von Panchos Blut. Sie kichern und lachen und kreischen. Aber Stan tut nichts dergleichen. Ja, sein Herz hämmert, er hat eine Gänsehaut, und seine Hände zittern, aber er sieht den Mut und die Schönheit von all dem. Er sieht Pirelli elegant durch das Wasser tauchen. Die Fische schwimmen beiseite, um ihm Platz zu machen. Sie versammeln sich um ihn, während er in der Mitte des Beckens schwebt und das Wasser mit sanften Hand- und Fußbewegungen zur Seite schiebt. Pirelli blickt nach draußen zu seinen Zuschauern und die Fische tun es ihm gleich. Einen Moment lang ist es im Becken fast vollkommen still. Dann bewegt sich Pancho. Sein Körper schaukelt. Er neigt den Kopf, bewegt die Hände, hebt die Füße.

    „Er tanzt!“ , flüstert Nitascha.
    Und tatsächlich. Er tanzt und die Fische fangen ebenfalls an, eine Figur um ihn zu bilden. Sie drehen und schlängeln sich durch das Wasser, das vor wenigen Minuten noch Schauplatz unglaublicher Wildheit gewesen ist.
    Dann schreit jemand: „Atme, Pirelli! Atme!“
    Und alle, die bis eben noch verzaubert waren, erkennen, dass Pirelli kein einziges Mal Luft geholt hat, seit er ins Wasser geglitten ist. Wie ist so etwas möglich? Wie schafft er es, seinen Körper derart zu kontrollieren? Er wird gewiss ertrinken! Aber Panchos Gesicht ist ruhig und seine Bewegungen sind flüssig. Die Zuschauer rücken näher. Sie blicken nach oben zu dem Mann und den Fischen, die vor und über ihnen tanzen. Wie ist es möglich, dass er noch am Leben ist? Warum fressen seine Fische ihn nicht auf? Als ob er das Publikum beruhigen wollte, taucht Pirelli ganz kurz auf, wendet das Gesicht der Luft zu, atmet ein und taucht dann wieder hinunter zu seinen Piranhas. Und wieder tanzen sie, drehen sich, wirbeln und wiegen sich, zeigen Loopings und Pirouetten wie zu einer wunderbaren Wassermusik, die außerhalb des Beckens niemand hören kann.
    Dann steigt Pancho Pirelli auf. Er erhebt sich aus dem Wasser. Er klettert hinaus. Er hebt einen Arm, um den ohrenbetäubenden Jubel der Menge entgegenzunehmen. Und dann kommt er herunter und nimmt seinen Umhang aus Stans Armen.
    „Hast du gedacht, ich würde sterben?“, fragt er.
    „Nein“, flüstert Stan.
    Pancho lächelt und legt sich den Umhang um die Schultern. Er setzt die Taucherbrille ab. „Glaubst du, du würdest sterben?“
    „Ich?“, fragt Stan.
    „Ja, du“, sagt Pancho. „Glaubst du, du wirst sterben, wenn du zu meinen Piranhas hineinsteigst?“
    Er streckt die Hand aus und legt sie auf Stans Schulter. „Ich werde dich gut ausbilden. Ich werde dir jede Hilfe geben, die du brauchst. Aber am Ende ist das alles nicht mehr wichtig. Es ist dein Schicksal. Ich wusste es, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Du bist hierhergekommen, um Pancho Pirelli die Last von den Schultern zu nehmen. Du wirst wie ich sein. Du wirst Mythen und Legenden lebendig machen. Dein Name wird in goldenen Buchstaben auf einer blauen Plane geschrieben stehen. Kannst du es vor dir sehen?“
    Stan versucht es:
    ! STANLEY POTTS !
    Dann rennt er voller Angst vor seinem Schicksal davon.

Einunddreißig
    In dieser Nacht, als der Mond durch das Wohnwagenfenster scheint, schläft Stan mit der Hand im Goldfischbecken. Er spürt die kleinen Flossen und die kleinen Schwänze an seiner Haut. Er träumt von gefährlichen Zähnen und schnappenden Kiefern. Er träumt davon, zu seltsamer

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