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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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dunkelhaarigen Mann mit einem blonden, lachenden Kleinkind, etwa zwei Jahre alt, vermutlich Johnny. Der Mann war John Pierson, keine Vierzig anscheinend. Er lächelte aus freundlichen braunen Augen, die Tom an den Jungen erinnerten. Das zweite Foto war genauso vorteilhaft: John ohne Brille in einem weißen Hemd, kein Schlips, ein Lächeln auf den Lippen und in der erhobenen Hand eine Pfeife, aus der kräuselnder Rauch aufstieg. Bei diesen Bildern fiel es schwer, sich John Pierson senior als Familientyrannen oder auch nur als knallharten Geschäftsmann vorzustellen. Auf dem Umschlag des Notenblatts stand Sweet Lorraine in verschnörkelten Lettern. Ob Lily Klavier spielen konnte? Das Lied hatte Tom immer gemocht.
    Eugene betrat die Wohnung, und zugleich kam Thurlow aus einem anderen Raum mit einem Drink herein, Scotch und Soda, wie es aussah. Sogleich fragte ihn der Chauffeur, ob er auch etwas wolle, Tee oder einen Drink, doch Tom lehnte ab. Dann besprachen Thurlow und Eugene das weitere Vorgehen: Thurlow wollte einen Helikopter nehmen, und Eugene meinte, das sei natürlich kein Problem – ob sie alle mitflögen? Tom sah Frank an. Es hätte ihn nicht überrascht, von dem Jungen zu hören, er wolle lieber mit Tom in New York bleiben, aber Frank sagte:
    »Ja, okay. Wir kommen alle mit.«
    Eugene ging zum Telefon.
    Frank winkte Tom in einen Flur. »Möchten Sie mein Zimmer sehen?« Der Junge öffnete die zweite Tür rechts. Auch hier waren die Jalousien heruntergelassen, doch Frank zog an einer Schnur, so daß Licht einfiel.
    Tom sah eine lange Tischplatte auf Böcken, ordentlich aufgereihte, gegen die Wand gelehnte Bücher, einen Stapel Spiralhefte für die Schule und zwei Fotos eines Mädchens – Teresa, er erkannte sie wieder. Ein Bild zeigte nur sie in einem weißen Kleid, mit einem hawaiianischen Blumenkranz als Tiara, strahlenden Augen und einem verschmitzten Lächeln auf den rosaroten Lippen. Vermutlich die Ballkönigin jener Nacht, dachte Tom. Das andere, ebenfalls farbig, war kleiner: Frank und Teresa Hand in Hand auf einem Platz, allem Anschein nach Washington Square. Teresa trug beige, weit ausgestellte Jeans und ein blaues Jeanshemd, sie hielt eine kleine Tüte in der freien Hand, vielleicht Erdnüsse. Frank sah gut aus und glücklich, wie ein Junge, der sich seines Mädchens sicher ist.
    »Mein Lieblingsbild«, sagte er. »Ich wirke darauf älter. Das war nur… rund zwei Wochen, bevor ich nach Europa geflogen bin.«
    Also eine Woche bevor er seinen Vater umgebracht hatte. Erneut kamen Tom Zweifel, verstörende und höchst merkwürdige Zweifel: Hatte der Junge seinen Vater tatsächlich getötet? Oder war das eine Phantasie von ihm? Jugendliche hatten solche Wunschvorstellungen und hielten hartnäckig daran fest. Warum nicht auch Frank? Der Junge glühte auf eine Art, die Johnny völlig abging. So würde Frank zum Beispiel ewig brauchen, um über Teresa hinwegzukommen, und mit »ewig« meinte Tom etwa zwei Jahre. Andererseits: Wenn der Junge nur phantasierte, seinen Vater getötet zu haben, und Tom davon erzählte, dann vermutlich, um Aufmerksamkeit zu erregen, und das paßte nicht zu ihm.
    »Woran denken Sie?« fragte Frank. »An Teresa?«
    »Sagst du mir die Wahrheit, was deinen Vater betrifft?« fragte Tom leise zurück.
    Der Junge preßte plötzlich die Lippen fest zusammen, so wie Tom das schon von ihm kannte. »Warum sollte ich Sie je belügen?« Dann, achselzuckend, als schäme er sich des ernsten Tons: »Gehen wir hinüber.«
    Er könnte schlicht deshalb lügen, dachte Tom, weil er Wunschvorstellungen mehr glaubte als der Wirklichkeit. »Dein Bruder hat gar keinen Verdacht geschöpft?«
    »Mein Bruder… Er hat mich gefragt, und ich sagte, ich hätte ihn nicht – gestoßen.« Er brach ab. Dann: »Er hat mir geglaubt. Ich fürchte, wenn ich Johnny die Wahrheit sagte, er würde sie nicht glauben wollen.«
    Tom nickte und wies mit dem Kopf zur Tür. Bevor er das Zimmer verließ, warf er einen Blick auf die Stereoanlage und das schöne, dreistöckige Plattenregal neben der Tür. Dann trat er ans Fenster und zog die Jalousien wieder dicht. Der Bettvorleger war rot, ein tiefes Purpurrot, genau wie die Bettdecke. Tom fand die Farbe angenehm.
    Sie gingen alle hinunter und fuhren in zwei Taxis zum Midtown Heliport an der West Thirtieth Street. Er hatte von dem Heliport schon gehört, ihn aber noch nie gesehen. Der Privathubschrauber der Piersons bot Platz für rund ein Dutzend Passagiere. Allerdings zählte

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