Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
im hellen Sonnenlicht auf dem Gehweg, die Koffer neben sich, und Tom trug noch sein Handgepäck.
»Wer ist in der Wohnung?« fragte Johnny.
»Im Augenblick niemand, Sir. Flora hat Urlaub«, sagte Eugene. »Ehrlich gesagt, wir haben sie dichtgemacht. Mrs. Pierson meinte, sie würde vielleicht Mitte der Woche in die Stadt kommen, falls Susie –«
»Fahren wir zur Wohnung«, unterbrach ihn Thurlow. »Sie liegt sowieso auf dem Weg. Irgendwas dagegen, Johnny? Ich würde gern im Büro anrufen. Kann sein, daß ich da heute noch vorbeischauen muß.«
»Klar, das geht in Ordnung. Ich will auch nach meiner Post sehen«, sagte Johnny. »Was hat Susie denn, Eugene?«
»Weiß ich nicht genau, Sir. Klang nach einem leichten Herzinfarkt. Ich weiß, daß sie den Arzt gerufen haben. Das war heute mittag. Ihre Mutter hat angerufen. Ich habe sie gestern hergefahren, wir haben in der Wohnung übernachtet. Sie wollte Sie vom Flughafen abholen.« Eugene lächelte. »Ich gehe nur schnell den Wagen holen. Bin gleich wieder da.«
Tom fragte sich, ob das Susies erster Herzinfarkt war. Flora dürfte ein Hausmädchen sein. Eugene kam in einem großen schwarzen Mercedes zurück. Alle stiegen ein, Frank vorne, neben Eugene.
»Alles okay, Eugene?« fragte Johnny. »Mit meiner Mutter?«
»Ja, Sir, glaube schon. Sie hat sich Sorgen um Frank gemacht, ist ja klar.« Eugene fuhr steif und effizient; Tom mußte an eine Rolls-Royce-Broschüre denken, die er gelesen hatte – Chauffeure sollten nie den Ellbogen auf den Fensterrahmen legen, hieß es dort, das wirke schlampig.
Johnny zündete sich eine Zigarette an und drückte einen Knopf in der beigebraunen Lederpolsterung. Ein Aschenbecher klappte heraus. Frank sagte kein Wort.
Third Avenue, dann Lexington. Verglichen mit Paris war Manhattan ein Bienenstock: überall kleine Zellen, die geschäftig summten; menschliche Insekten, die hinein- und herauskrabbelten, Sachen trugen, Autos beluden, eilig marschierten, sich anrempelten. Vor einem Apartmenthaus mit einer Markise bis zum Bordstein kam der Wagen fast lautlos zum Stehen; ein grau livrierter Portier legte lächelnd die Finger an den Mützenschirm und öffnete die Wagentür.
»Guten Tag, Mr. Pierson«, sagte er.
Johnny begrüßte ihn mit Namen. Glastüren, dann fuhren sie im Lift hinauf, das Gepäck folgte in einem anderen Aufzug.
»Wer hat den Schlüssel?« fragte Thurlow.
»Ich«, antwortete Johnny nicht ohne Stolz und zog einen Schlüsselring aus der Tasche.
Eugene parkte inzwischen den Wagen.
12 A stand auf der Wohnungstür. Sie traten in eine geräumige Diele. Im großen Wohnzimmer trugen manche der Sessel vor den Fenstern weiße Schonbezüge, obwohl die Jalousien heruntergelassen waren, so daß ohne elektrisches Licht kaum etwas zu sehen war. Johnny kümmerte sich um alles: Er lächelte, als sei er glücklich, zu Hause zu sein, ja als wäre dies sein Zuhause, zog an den Jalousienschnüren, so daß mehr Licht einfiel, und knipste eine Stehlampe an. Frank stand immer noch in der Diele und sah die Post durch, gut ein Dutzend Briefe. Das Gesicht des Jungen blieb angespannt, die Miene düster. Nichts von Teresa dabei, dachte Tom. Aber als Frank ins Wohnzimmer kam, schlenderte er beinahe lässig. Er sah ihn an und sagte:
»Tja, Tom, das ist es. Oder doch ein Teil davon. Unser Zuhause.«
Tom lächelte höflich, weil Frank das so wollte, und ging zu einem mittelmäßigen Ölgemälde über dem Kamin (einem echten?), das eine Frau zeigte, vermutlich Franks Mutter: blond, hübsch, geschminkt und in Positur gesetzt; die Hände ruhten nicht im Schoß, sondern auf der Lehne eines hellgrünen Sofas. Sie trug ein schwarzes, ärmelloses Kleid mit einer orangeroten Blume im Gürtel und ein sanftes Lächeln, das der Maler aber so oft überarbeitet hatte, daß Tom nicht erwartete, etwas von ihrer wirklichen Persönlichkeit darin zu finden. Was John Pierson wohl für diesen Mist bezahlt haben mußte? Thurlow telefonierte in der Diele, vielleicht mit seinem Büro. Tom interessierte es nicht, was er zu sagen hatte. Dann sah er, wie Johnny einen Blick auf die Briefe warf, zwei davon einsteckte und einen dritten öffnete. Er schien guter Laune.
Im Wohnzimmer standen zwei große braune Ledersofas über Eck (Tom sah nur die Unterseite eines Sofas unter dem weißen Bezug) sowie ein Flügel mit einer Partitur auf dem Notenständer. Tom trat näher, wollte wissen, welches Stück es war, aber zwei Fotos auf dem Flügel lenkten ihn ab. Das eine zeigte einen
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