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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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hat, jedes einzelne Paar? Das hier zum Beispiel.« Tom hob den rechten Fuß. Obwohl er durch den Grunewald gestürmt war, glänzte der Mokassin immer noch. Tom dachte an Franks Vatermord: Daher rührte sein Verständnis für den Jungen. Doch laut sagte er nur: »Er liebt ein Mädchen in New York. Sie konnte ihm nicht nach Europa schreiben, weil er ihr seine Adresse nicht gegeben hatte. Er wollte eine Weile inkognito bleiben. Also ist er nicht sicher, ob er ihr noch etwas bedeutet. Er ist erst sechzehn. Sie wissen, wie das ist.« Aber hatte Eric jemals geliebt? Schwer vorstellbar. Der Mann hatte etwas sehr Selbstsüchtiges an sich, einen starken Selbsterhaltungstrieb.
    Eric nickte nachdenklich. »Er war bei Ihnen, als ich in Belle Ombre übernachtet habe. Ich wußte, irgendwer war im Haus – vielleicht eine junge Frau, dachte ich, oder ein –«
    Tom lachte: »Eine Frau? Die ich vor meiner Frau versteckt hätte?«
    »Warum ist er weggelaufen?«
    »Ach, Jungs tun so was eben. Kann sein, daß er durcheinander war, wegen des Todes seines Vaters. Oder wegen seiner Freundin. Er wollte ein paar Tage untertauchen, Ruhe finden. In Belle Ombre hat er im Garten gearbeitet.«
    »Hat er in Amerika etwas Ungesetzliches getan?« Eric klang fast prüde.
    »Nicht daß ich wüßte. Aber er wollte eine Zeitlang nicht Frank Pierson sein, also hab ich ihm einen anderen Paß besorgt.«
    »Und ihn nach Berlin gebracht.«
    Tom atmete tief durch: »Ich dachte, ich könnte ihn überzeugen, von hier nach Hause zu fliegen. Das habe ich auch geschafft. Er hatte für morgen einen Flug reserviert – zurück nach New York.«
    »Für morgen«, wiederholte Eric emotionslos.
    Warum sollte Lanz überhaupt Gefühle haben? Tom betrachtete die Knöpfe von Erics Seidenhemd, das sich über seinem gewölbten Bauch spannte: Er selbst stand unter Druck, genau wie diese Knöpfe. »Ich möchte Thurlow heute nacht noch einmal anrufen. Vielleicht sehr spät, zwei oder drei Uhr morgens. Ich hoffe, das stört Sie nicht, Eric?«
    »Ganz und gar nicht, Tom. Der Apparat steht zu Ihrer Verfügung.«
    »Wo soll ich schlafen? Hier vielleicht?« Tom meinte das große Roßhaarsofa.
    »Ach, ich bin froh, daß Sie fragen! Sie sehen todmüde aus, Tom. Ja, auf dem Ding hier, aber das ist ein Sofabett. Schauen Sie genau zu.« Eric nahm ein rosa Kissen weg. »Sieht uralt aus, ist aber der letzte Schrei. Ein Knopfdruck…« Er drückte auf einen Knopf, die Sitzfläche glitt hervor, die Rückenlehne klappte herunter, und das Sofa war nun so groß wie ein Doppelbett. »Sehen Sie?«
    »Großartig«, bemerkte Tom.
    Lanz holte von irgendwoher Decken und Bettwäsche; Tom half ihm dabei. Zuerst eine Decke, um die kleinen Knopfmulden auszupolstern, dann die Laken. »Ja, wird Zeit, daß Sie sich hinlegen. Hinlegen, auflegen, ablegen, belegen, überlegen, auslegen, umlegen – manchmal glaub ich wirklich, Englisch ist genauso… flexibel wie Deutsch«, sagte er, während er die Kissen bezog.
    Als Tom den Pullover auszog, spürte er, daß er diese Nacht schlafen würde wie ein Toter, like a top, aber er hatte keine Lust auf eine etymologische Diskussion über diese Wendung, die Eric interessieren könnte, also sagte er nichts und holte den Pyjama hervor, der ganz unten im Koffer lag. Er dachte daran, daß die Entführer Frank gezwungen haben könnten, ihnen zu verraten, wer er sei. Ob Mrs. Pierson ihm vertrauen würde, das Lösegeld auszuliefern? Tom merkte, wie er sich danach sehnte, den Entführern einen Schlag zu versetzen. Womöglich wäre das leichtsinnig, ja verrückt, weil er in diesem Augenblick eine vage Wut spürte und viel zu müde war, um logisch zu denken.
    »Ich bin fertig im Bad, Tom«, sagte Eric, »und wünsche Ihnen gleich eine gute Nacht, dann brauche ich Sie nicht mehr zu stören. Soll ich meinen Wecker stellen, sagen wir auf zwei, für Ihren Anruf?«
    »Ich glaube, ich werde von allein aufwachen«, erwiderte Tom. »Danke, Eric – vielen Dank.«
    »Oh, bevor ich’s vergesse, eine kleine Frage: Heißt es ›jemanden wecken‹ oder ›jemanden aufwecken‹?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Ich glaube, nicht mal die Engländer wissen das.«
    Tom duschte und legte sich schlafen. Er versuchte, sich drei Uhr fest einzuprägen, damit er in genau einer Stunde und zwanzig Minuten aufwachte. Sollte er das Risiko eingehen, selbst entführt oder, noch schlimmer, erschossen zu werden, indem er das Lösegeld überbrachte? War es das wert, wenn das auch irgendwer anders erledigen

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