Der Junge, der sich in Luft auflöste
ich.
»Nein«, sagte sie.
»Hmpf.«
»Hör auf so mit dem Kopf zu zucken! Wenn Mum fragt, brauchst du doch nur zu sagen, dass ich kurz zu Tiff rübergegangen bin. Kapiert?«
»Kurz zu Tiff rübergegangen.«
»Für den Nachmittag.«
»Für den Nachmittag.«
»Leier es nicht so runter. Sag es, als ob du es ernst meinst, Ted.«
»Aber ich meine es nicht ernst, Kat. Es stimmt doch nicht.«
Kat schlug sich an die Stirn. »Womit hab ich so einen Bruder verdient? Womit? Du bist echt ein hoffnungsloser Fall.«
»Wo gehst du denn wirklich hin, Kat?«
»Wenn ichâs dir sage, sagst du es bloà den anderen.«
»Mach ich nicht, Kat. Nicht, wenn sie mich nicht fragen.« Â
»Sie werden dich aber fragen! Die Zeit drängt. Ich muss das ganz allein rausfinden.«
»Nein«, sagte ich. »Nein, Kat.«
Sie war bereits in der Diele und zog ihre Jacke an.
»Nein«, wiederholte ich.
Sie rannte nach oben, um ihren Leopardenfell-Rucksack zu holen. Ich lief hinterher. Kat packte das vergröÃerte Foto mit dem verschwommenen Gesicht des Fremden ein und dazu die Seite aus dem Telefonbuch, dann rannte sie wieder nach unten.
»Nein«, sagte ich und folgte ihr wieder. Meine Hand begann zu schlackern. »Nein, Kat.«
»Ich bin so schnell wie möglich zurück.«
»Kat!«
Sie öffnete die Haustür.
»Kat!« Ich griff nach dem Ãrmel ihrer Jacke. »Nimm mich mit. Bitte.«
»Lass los, Ted!« Sie versuchte meine Hand wegzuschlagen.
»O-o-o-o-oh«, stieà ich hervor und klammerte mich weiter fest.
»Lass mich los, Ted.« Sie schubste mich mit aller Kraft durch die Tür zurück. »Tut mir leid, Ted. Du bist wirklich ein guter Denker. Aber du bist nicht gut darin, etwas zu tun. Wenn du mitkommst, bist du einfach keine Hilfe.«
Sie knallte mir die Tür vor der Nase zu. Ich sah, wie ihre Silhouette sich den Gartenpfad hinunter entfernte. Dann sank ich auf den Teppich in der Diele und in meinem Bauch warein Gefühl wie blubbernd heiÃe Lava. Mein Fuà trat gegen die Scheuerleiste, meine Hand schlackerte und in meinem Gehirn wirbelte ein Tornado aus unangenehmen Empfindungen. Katastrophe. Kataklysmus. Katalog der Schreckensmeldungen. Hurrikan Katrina. Die fiese, bekloppte, bekloppte, fiese Kat. Â
24
Heureka
Ich ging nach oben, ehe Mum und die anderen mich fanden. Ich wollte nichts erklären müssen. Ich wollte die Tiffany-Lüge nicht erzählen müssen. Aber als Erstes nahm ich mir das Branchenbuch. Ich wollte herausfinden, welche Seite Kat herausgerissen hatte.
Man könnte denken, das wäre leicht, aber das war es nicht. Das Branchenbuch von London hat 989 Seiten. Die Seiten sind schlaff und dünn. Wenn eine Seite fehlt, öffnet sich das Branchenbuch nicht automatisch an dieser Stelle. Man muss Seite für Seite durchgehen, bis man oben an der Seitennummerierung die Lücke sieht.
Ich fing ganz vorne an. Mit den Firmen, deren Namen mit einer Nummer beginnt, wie 00-Finanzen. Auf Seite sechs geht es los mit A. Auf Seite fünfundsiebzig dann mit B. Als ich bei Edel â die Lösung für besondere Fälle angekommen war, taten mir die Augen weh und ich hatte schwarze Finger. Die Seiten rieben beim Blättern wie Watte über die Ballen meiner Finger. Schweià lief mir den Hals hinunter. Die kühle Brise vom Morgen hatte sich verzogen, es wurde wärmer. Von unten hörte ich, wie die Polizei das Haus betrat.
Ich begann mit F, und erst bei der Rubrik Familie fiel mir endlich ein, was ich vergessen hatte: dass das erste Wort auf dem T-Shirt ja SECURITY lautete. Was bedeutete, dass Kat unter S nachgeschlagen haben musste. Und tatsächlich, die Seite 734 fehlte und damit fehlten sämtliche Einträge zwischen Seniorenheime, Setzereien und Siebdruckbedarf. Also auch die Sicherheitsdienste. Kat hatte irgendwie herausgefunden, wie die Firma hieÃ, bei der der Unbekannte arbeitete. Ich fragte mich bloÃ, wie?
Mir fiel wieder ein, wie sie mich angestarrt hatte. Nach meiner Frage, wie die Leute es schaffen, beim Fotografieren auf Kommando zu lächeln.
Ich lieà das Branchenbuch fallen. OMMA ⦠KOMMANDO.
Der Rest war einfach.
ECURI OMMA. SECURITY-KOMMANDO.
Ich sagte laut, was Dad immer sagt, wenn er das Wochenendkreuzworträtsel gelöst hat:
»Heureka, ich habâs!«
25
Das Fernsehteam
Ich ging nach unten.
Weitere Kostenlose Bücher