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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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dem schleimigen, braunen Wasser im Bootsrumpf. Ein großes, rostiges Schiff ragt auf einer Art Eisenbahnschienen an Land und die weißen Häuser zwischen den Felsen sind mit der Zeit grau geworden. Am Ende der Brücke steht eine rotgestrichene Zapfsäule und daneben ein Kiosk, an dem man früher Eis kaufen konnte. Nanna rudert zu den Autoreifen, die am Anleger befestigt sind.
    »Fride, spring du mit dem Tau an Land.«
    Fride greift nach dem Tau, das aufgewickelt im Bug liegt, und springt. Nanna reicht ihr das erste Ruder hoch.
    »Hier. Nimm das. Und beeil dich ein bisschen.«
    Fride legt es auf den Anleger, dann nimmt sie das zweite entgegen. Nanna setzt den Rucksack auf, hüpft mit einem großen Satz an Land und verzurrt das Tau an einem Poller.
    »Komm. Nimm ein Ruder mit«, flüstert sie.
    Fride hebt eins der Ruder auf und Nanna das andere, dann laufen sie zu einem Wäldchen, das gegenüber den Häusern am anderen Ende der Bucht liegt.
    Im Gehölz geht Nanna in die Hocke und gibt Fride ein Zeichen, dass sie dasselbe tun soll.
    »Warum müssen wir hier hocken?«, flüstert Fride.
    »Wir müssen rausfinden, ob hier Leute sind, und außerdem müssen wir die Ruder verstecken.«
    Nanna legt die Ruder an einem Baumstamm ab. Der Wind rauscht in den Zweigen. Sie warten lange, aber in den Häusern rührt sich nichts. Keine Bewegung, kein Schatten.
    Nanna holt die Karte aus dem Rucksack. Sie versucht herauszufinden, ob noch andere Wege vom Hafen wegführen, aber sie sieht nur den einen.
    »Schau mal«, flüstert Fride und zeigt in den Wald.
    »Was ist da?«
    »Da steht was hinter den Büschen.«
    Zwischen den verwachsenen Zweigen schimmert etwas Blaues.
    »Komm«, flüstert Nanna.
    »Was ist das?«, fragt Fride.
    »Das ist unser Auto«, sagt Nanna und schlängelt sich durchs Gebüsch.
    »Echt?«, fragt Fride und klingt glücklich.
    Das Auto wird fast ganz von einem großen Ast verdeckt, der auf das Dach gestürzt ist, zwei der Reifen sind platt.
    »Ist das das Auto, in dem wir gekommen sind?«, fragt Fride.
    »Ja.«
    »Wo habe ich gesessen?«
    »Hier«, sagt Nanna und wischt mit der Hand ein paar Blätter von der Heckscheibe.
    »In dem kleinen Sitz?«
    »Ja.«
    »War ich so klein?«
    »Ja. Und du hast mit den bunten Spielsachen gespielt, die am Sitz festgemacht sind.«
    »Ich möchte mich reinsetzen!«
    »Nein, sagt Nanna. »Wir müssen weiter.«
    Sie verlassen das Wäldchen und gehen zur Straße. Fride biegt in Richtung der Häuser ab.
    »Wo willst du denn hin? Wir müssen hoch an die Hauptstraße, wenn wir in die Stadt wollen. Komm jetzt.«
    »Können wir nicht in die Häuser gehen?«, fragt Fride.
    »Nein. Wir wissen nicht, ob sie wirklich leer stehen. Und du kannst nicht einfach gehen, wohin du willst. Wir müssen vorsichtig sein. Bleib immer in meiner Nähe. Okay?«
    »Ja, aber … Ich war noch nie in einem anderen Haus als unserem. Ich will wissen, wie es da aussieht.«
    »Du warst doch in unserer Wohnung.«
    »Ja, aber daran ich kann mich nicht mehr erinnern. Können wir nicht doch in eins der Häuser gehen?«
    »Nein, wir haben jetzt keine Zeit. Heute Abend suchen wir uns ein Haus, in dem wir schlafen können. Dann kannst du gucken, wie es da aussieht. Komm schon«, drängt Nanna.
    Fride trottet hinter Nanna her. Oben auf dem Hügel, wo der Schotter in Asphalt übergeht, kann man über den Fjord sehen. Fride klettert auf einen Felsen und schaut nach unten auf das Wasser.
    »Wo ist unsere Insel?«, fragt sie.
    »Weit draußen im Fjord. Ich glaube, ich kann sie sehen.«
    »Auch das Haus?«
    »Ja.«
    »Wo denn? Ich sehe es nicht.«
    »Siehst du da vorne die beiden Inseln ohne Bäume, die fast gleich aussehen?«, sagt Nanna und zeigt Fride die Richtung.
    »Ja, ich glaube schon.«
    »Unsere Insel liegt genau dazwischen. Siehst du sie jetzt?«
    »Ich weiß nicht genau.«
    »Es ist auch nicht so leicht zu erkennen. Ich glaube, ich kann unser Haus sehen. Nur das Dach. Von hier aus sieht alles so anders aus. Aber ich weiß noch, dass Papa immer dorthin gezeigt hat, wenn wir im Sommer hier ankamen. Er hielt das Auto an und sagte: Jetzt sind Ferien.«
    Nanna dreht sich zu Fride um und lächelt.
    »Das war hier. Ganz genau hier.«
    »Daran kann ich mich nicht erinnern.«
    »Du warst ja noch nicht mal geboren.«
    »Ach so. Kannst du Papa sehen?«
    »Nein.«
    »Ich winke trotzdem«, sagt Fride und fängt an, auf und ab zu hüpfen und mit den Armen zu rudern.
    Und genau da glaubt Nanna einen kleinen Reflex draußen auf der Insel

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