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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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zu sehen, einen Lichtpunkt, der durch die Bäume blitzt, um gleich wieder zu verschwinden, aber es ist doch nur das Wasser, das in der Sonne glitzert.
    »Denkst du, Papa sieht uns?«, fragt Fride.
    »Ja, das denke ich. Er hat uns bestimmt die ganze Zeit durchs Fernglas beobachtet. Wink jetzt, dann gehen wir.«
    Sie winken beide und folgen dann der Straße in den Wald.Der Asphalt ist mit Laub und Zweigen bedeckt, es ist fast so, als würde man über Waldboden laufen. Nanna ist erleichtert, dass sie den Hafen hinter sich lassen. Die leeren Häuser erinnern sie daran, dass dort früher jemand wohnte und dass die Welt einmal voller Menschen war. Daran, wie lustig es war, den Hafen zu besuchen, um Post abzuholen oder Müll wegzubringen. Und vielleicht unten an der Zapfsäule ein Eis zu essen. Sie wandern über den rissigen Asphalt und Fride stapft durch das Laub. Sie hebt ein paar Blätter auf und schnuppert daran.
    »Die riechen süß«, sagt sie. »Fast wie die Bücher im Periskopraum.«
    »Die Blätter duften nach Herbst«, sagt Nanna. »Ich mochte den Geruch sehr gerne, als ich klein war.«
    »Das riecht irgendwie gut.«
    »Ja. Aber jetzt ist Sommer«, sagt Nanna. »Es sollte nach Sommer riechen, nach Blumen und Gras.«
    »Ich weiß bei so vielen Sachen gar nicht, wie sie riechen«, sagt Fride und sieht traurig aus.
    »Nein, aber jetzt wirst du viel zu sehen bekommen«, sagt Nanna. »Denk doch nur – wir sind hier und nicht unten im Bunker.«
    An manchen Stellen ist die Straße kaum mehr zu erkennen. Fride fängt wieder an zu singen und hüpft beim Gehen in die Laubhaufen. Langsam versinkt die Sonne hinter den Bäumen und überzieht alles mit einem rötlichen Schimmer.
    »Woher weißt du, dass wir hier richtig sind?«, fragt Fride.
    »Wir müssen einfach nur weiter dem Weg folgen, bis wir an die große Straße kommen. Ab da ist die Stadt dann ausgeschildert. Aber ich glaube, heute kommen wir nicht mehr weit.Wir sollten uns besser ein Versteck suchen, bevor es dunkel wird.«
    »Glaubst du, dass jemand kommt?«
    »Ich weiß es nicht, aber wir verstecken uns auf jeden Fall. Um sicherzugehen. Wir müssen noch ein bisschen weiter, dann finden wir einen Schlafplatz. Irgendwo in der Nähe ist bestimmt ein Hof.«
    Sie wandern weiter und das Rot am Himmel wird immer kräftiger.
    »Ich finde es so schön, draußen zu sein«, sagt Fride. »Schau mal der Himmel.«
    »Ja, nicht wahr?«, sagt Nanna und sie bleiben stehen und gucken.
    Dann scheint die Sonne ihre Kraft zu verlieren und die bläuliche Dämmerung sickert durch die Bäume. Es wird dunkler und die Luft wird kühl. An einem Schotterweg, der von der asphaltierten Straße abzweigt, bleiben sie stehen. An der Kreuzung steht ein hölzernes Gestell. Ein kleines Dach mit vertrockneten, braunen Grasbüscheln schützt die Briefkästen, die daran aufgehängt sind. Sie sind alle bemalt – einer mit Blumen, einer mit einem Elch und einer mit dicken Trollen, die im Bett liegen. Fride geht hin.
    »Hier hat ein Elch gewohnt«, sagt sie. »Und hier jemand, der Blumen mag. Und da ein paar Trolle.«
    Nanna hält angestrengt nach den Häusern Ausschau, aber der schmale Schotterweg verschwindet hinter einem vorgelagerten Hügel.
    »Können wir in dem Troll-Haus wohnen? Da hat niemand gelb draufgemalt. Ich will nicht in einem Haus wohnen, das gelb angemalt ist.«
    »Was meinst du?«, fragt Nanna.
    »Auf die anderen Briefkästen hat jemand gelbe Kreise gemalt. Das mag ich nicht. Das ist hässlich.«
    Nanna schaut zu den Briefkästen. Auf allen, außer auf dem mit den Trollen, ist ein gelber Kreis.
    »Was bedeutet das?«, fragt Fride.
    »Ich weiß es nicht«, antwortet Nanna. »Komm, wir schauen mal, ob wir das Troll-Haus finden.«
    Sie folgen dem Schotterweg. Er schlängelt sich zwischen Felsen und Bäumen auf und ab. Es ist unmöglich, weit vorauszusehen. Fride fängt wieder an zu singen: Oben in den Bergen, da wohnen drei Trolle. Trollpapa, Trollmama und der kleine   …
    »Leise«, sagt Nanna und schiebt Fride hinter sich. »Es könnte dich jemand hören.«
    Hinter einer scharfen Kurve sehen sie plötzlich vor sich etwas Schwarzes. Nanna schnappt Fride und zieht sie mit sich in den Wald. Sie verstecken sich hinter einem großen Stein und Nanna drückt Fride nach unten auf den Boden, während sie vorsichtig über den Felsen lugt. Ein Haufen verbogener, verrosteter Metallteile liegt mitten auf dem Weg, schwarz von Ruß und geschmolzenen Autoreifen. Auch auf dem Autowrack sind gelbe

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