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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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Fahrbahnmarkierung und versucht, weiter zu springen, als die Streifen lang sind.
    Ab und zu werfen verlassene Autos ihren schmalen Schatten auf den Asphalt. Nanna und Fride wandern mehrere Stunden. Manchmal, wenn die Straße ein Kurve macht, verlieren sie den Tunnel aus dem Blick. Auf einer Anhöhe bleibt Fride stehen.
    »Ich habe Durst«, sagt sie.
    »Komm her, dann gebe ich dir Wasser«, sagt Nanna und setzt sich in den Schatten eines rostigen Autos. Die Scheiben sind eingeschlagen und die Türen stehen offen.
    Der Asphalt klebt an ihren Oberschenkeln und es stinkt nach Öl und Benzin. Fride setzt sich, springt aber sofort wieder auf.
    »Was ist denn?«, fragt Nanna.
    »Der Boden ist so heiß«, sagt sie und stellt sich in den Schatten des Autos.
    Nanna reicht Fride die Flasche und sie trinkt in großen Schlucken.
    »Mach langsam. Das Wasser muss reichen, bis wir wieder an einen Bach kommen«, sagt Nanna.
    Fride setzt die Flasche ab, legt den Kopf in den Nacken und schaut in den Himmel.
    »Glaubst du, außer uns gibt es noch mehr Menschen?«, fragt Fride.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht ein paar?«
    »Glaubst du, dass die böse sind?«
    »Ich weiß es nicht. Aber früher gab es auch böse Menschen, sonst hätten wir uns nicht auf der Insel versteckt. Es muss Böse gegeben haben. Papa hat das gesagt. Deshalb haben wir die Stadt verlassen.«
    »Und glaubst du, dass jetzt auch böse Menschen in der Stadt sind?«
    Nanna zögert ein bisschen.
    »Glaubst du, dass jetzt auch böse Menschen in der Stadt sind?«
    »Nein. Das glaube ich nicht. Wir kommen ja eigentlich aus der Stadt, nicht wahr?«, sagt sie und versucht zu lächeln. »Und wir sind doch nett.«
    »Glaubst du, es gibt irgendwo anders noch mehr nette Menschen?«, fragt Fride.
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe es.«
    »Wenn wir jemanden treffen, woher wissen wir dann, ob er nett oder böse ist?«
    »Das weiß ich auch nicht. Wir können nur hoffen, dass wir niemandem begegnen.«
    »Stell dir mal vor, wir wären die letzten Menschen auf der Welt.«
    »Das sind wir nicht. Papa ist doch auch da.«
    »Ja, aber er ist auf einer Insel. Vielleicht geht es ihm schon besser? Vielleicht kommt er nach?«
    »Das glaube ich nicht. Auf der Insel ist es jetzt bestimmt schön, mit dem Meer und der Bucht. Komm jetzt, wir müssen uns beeilen.«
    Nanna geht weiter auf den Tunnel zu und Fride schlurft hinterher. Die Sonne brennt ihnen ins Gesicht und der Asphalt glüht unter ihren Füßen. Nannas Mund ist ganz trocken, genau wie ihre Augen. Langsam kommt der Tunnel näher. Er wächst, bis er ein riesiges, schwarzes Loch in der Felswand ist. Ein kalter, rauer Wind strömt ihnen entgegen. Wasser tropft von der Decke und das Geräusch der Tropfen hallt im Tunnel wider.
    Vor der betonierten Öffnung bleiben sie stehen. Zuerst fühlt sich die kühle, feuchte Luft herrlich an, aber schon nach wenigen Metern wird es dunkel und sie fangen an zu frieren.
    »Komm, wir rennen«, sagt Nanna und spürt den kalten Windhauch auf der Haut.
    Sie schaut in den Tunnel und versucht, das Licht am anderen Ende zu erspähen.
    »Warum müssen wir rennen?«, fragt Fride und drückt sich dicht an Nanna.
    »Weil wir nirgendwohin flüchten können, wenn wir erst richtig im Tunnel drin sind. Dann geht es nur noch vorwärts oder zurück.«
    »Aber hier ist doch niemand«, sagt Fride.
    Nanna nimmt Fride an der Hand und fängt an zu zählen: »Auf drei. Eins – zwei – drei.«
    Und dann rennen sie. In die Dunkelheit. Wasser hat sich auf dem Asphalt gesammelt und ihre Füße werden kalt. Nanna hört, wie Frides Schritte neben ihr immer schwerer und langsamer werden und auch ihre Hand wird immer schwerer.
    »Komm schon!«, ruft sie und zieht Fride hinter sich her.
    Sie rennen durch die Dunkelheit und endlich taucht eine kleine, helle Rundung vor ihnen auf, die langsam größer wird.
    »Schau«, ruft Fride. »Licht!«
    Kurz vor dem Ausgang sind Rußflecken an der Wand zu erkennen. Hier muss jemand gewohnt haben. Warme Luft schlägt ihnen entgegen, als sie aus dem Tunnel treten. Nanna erkennt undeutlich ein Autowrack, das auf dem Dach liegt, dann muss sie in dem gleißenden Licht die Augen zukneifen. Sie zieht Fride mit sich hinter das Auto und da bleiben sie schwer atmend auf dem heißen Asphalt liegen.
    »Wir haben es geschafft«, sagt Fride nach einer Weile.
    »Ja. Du bist toll gerannt«, sagt Nanna und packt die Wasserflasche aus. »Hier!«
    Die Flasche ist leicht. Sie gibt sie Fride und achtet darauf, dass

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