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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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ihrer Mutter und zu dem Tag zurück, an dem sie sie zum Krüppel gemacht hatte, um zu verhindern, dass der Gutsherr sie vergewaltigte. Zwanzig Jahre waren seither vergangen, in denen Cetta nicht mehr daran gedacht hatte, all das schien zu einem anderen Leben, zu einer anderen Welt zu gehören. Doch während sie ihren Sohn nun umfangen hielt, verstand sie plötzlich, was damals in ihrer Mutter vorgegangen war. Und nach zwanzig Jahren vergab sie ihr.
    »Hör mir zu, Christmas«, sagte Cetta da mit den Worten ihrer Mutter in ebenso strengem Tonfall und schob ihn ein Stück von sich. »Du bist nun erwachsen und verstehst mich genau, wenn ich mit dir rede, ebenso wie du, wenn du mir in die Augen siehst, genau verstehst, dass ich fähig bin zu tun, was ich dir jetzt sage. Solltest du dein Leben nicht ändern, bringe ich dich lieber eigenhändig um.« Einen kurzen Moment schwieg sie. »Ich bin nicht wie Oma Tonia. Ich werde nicht das Foto meines toten Sohnes streicheln.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch ihr Blick blieb hart und entschlossen. Langsam ballte sie die Hand zur Faust und versetzte ihm urplötzlich mit aller Kraft einen Hieb gegen die Brust. Dann verließ sie das Haus.
    Als sie zehn Minuten später wieder zurückkam, hielt sie ein Paket in der Hand.
    Den Kopf in die Hände gestützt, die Finger im weizenblonden Haar vergraben, saß Christmas noch immer auf dem Sofa.
    »Steh auf«, sagte Cetta.
    Christmas sah sie an und gehorchte.
    »Zieh dich aus.«
    Christmas runzelte zunächst die Stirn, doch als er den unnachgiebigen Blick der Mutter bemerkte, legte er Jacke, Hose und Hemd ab, bis er nur noch mit einem wollenen Unterhemd, halblangen Unterhosen und Strümpfen bekleidet dastand. Cetta sammelte seine Kleider auf, knüllte sie zusammen, ging zum Herd, öffnete die Ofenklappe und warf das Kleiderbündel in die glühenden Kohlen.
    Christmas schwieg.
    Aus dem Herdrost stieg bereits dichter Rauch auf, als Cetta zurückkam und ihm schroff das Paket zuwarf. »Ab heute ziehst du dich nicht mehr an wie ein kleiner, mieser Gangster«, sagte sie entschlossen.
    Christmas öffnete das Paket und hielt kurz darauf einen braunen Anzug, wie ihn die gewöhnlichen Leute im Viertel trugen, und ein weißes Hemd in Händen.
    »Und kämm dich«, sagte Cetta noch, während sie ihm den Rücken zuwandte, in ihr Schlafzimmer ging und die Tür zuschlug, weil die Angst sie nun zu übermannen drohte.
    Halb nackt, den braunen Anzug und das weiße Hemd in der Hand, stand Christmas wie versteinert mitten im Wohnzimmer, während der Raum sich mit dichtem, beißendem Rauch füllte, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Genau wie der Rauch, der aus Peps Metzgerladen geströmt war. Er musste husten. Schließlich riss er das Fenster auf. Er blickte hinunter auf die Straße, nahm die Stimmen der Leute wahr und beobachtete zerlumpte Jungen, die um einen Betrunkenen herumscharwenzelten. Sie warteten nur auf einen geeigneten Moment, ihn zu beklauen. Die kalte Luft, die sich mit dem Rauch seiner brennenden Kleider mischte, ließ Christmas erschauern.
    Langsam streifte er da das weiße Hemd und den braunen Anzug über.
    »He, Diamond, man erkennt dich gar nicht wieder. Was ist denn mit dir passiert?«, lachte Joey. »Du siehst aus wie ein Angestellter. Wo hast du denn den Anzug her, aus der Lumpensammlung?«
    »Seit zwei Wochen bist du untergetaucht.« Christmas packte ihn am Jackenkragen und zog ihn zu sich heran. »Wo zum Henker hast du gesteckt?«
    Joey breitete die Arme aus, grinste verschlagen und neigte den Kopf zur Seite. »Reg dich ab. Ich hatte ein paar Geschäfte zu regeln ...«
    Ohne seinen Griff zu lockern, drückte Christmas ihn gegen die Wand. »Was für Geschäfte?«
    »Reg dich ab ...« Joey grinste noch immer, doch in seinem Blick, der Christmas auszuweichen versuchte, spiegelte sich wachsendes Unbehagen. »Die üblichen Geschäfte, Diamond.« Er steckte die linke Hand in die Hosentasche. »Hier hab ich deinen Anteil, keine Sorge, schließlich sind wir Partner, richtig? Ich vergesse doch meinen Partner nicht ...«
    »Wieso bist du untergetaucht?« Christmas’ Stimme hallte finster durch die Gasse. »Hattest du mich schon abgeschrieben? Hast du dir vor Schiss in die Hose gemacht?«
    »Was redest du denn da?« Die Hand noch immer in der Tasche, lachte Joey, doch es klang ein wenig schrill. Noch immer vermied er es, ihm in die Augen zu schauen.
    Christmas drückte ihn noch fester gegen die Wand. »Sieh mich an! Wieso bist du

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