Der Junge, der Träume schenkte
untergetaucht?«
Joeys Augen wurden schmal. Plötzlich fuhr seine Hand aus der Tasche, ein Messer schnappte auf, und Christmas spürte die spitze Klinge in seiner Seite, nahe der Leber. »Nimm deine Hände weg von mir, Diamond!«, zischte Joey.
Christmas hielt ihn weiter im Griff. Er sah Joey geradewegs in die Augen, und langsam breitete sich ein verächtliches Grinsen auf seinen Lippen aus. »Ja, du hast dir in die Hosen gemacht«, stellte er leise fest.
Die Klinge bohrte sich fester in seine Seite. »Lass mich los«, wiederholte Joey. »Wir sollten nicht alles durcheinanderbringen.«
»Sag es«, beharrte Christmas voller Abscheu. »Sag, dass du dir in die Hose gemacht hast.«
Schweigend forderten die beiden Jungen einander heraus, Auge in Auge. Bis Joey schließlich unter dem Druck der Verachtung, die er in Christmas’ Gesicht las, langsam das Messer sinken ließ. »Du bist eine Null«, sagte er zu ihm. »Du bist genau wie Abe der Trottel, vom gleichen Schlag wie mein Vater.«
Christmas lächelte, während er von ihm abließ und sich zum Gehen wandte.
»Du bist ein Nichts, ein Niemand«, sprach Joey weiter, und seine Stimme bebte vor Groll. »Ich hab dich doch in den letzten Jahren durchgefüttert. Die Diamond Dogs sind nichts als Blödsinn. Du bist ein wandelnder Blödsinn. Nur ein Vollidiot wie Santo konnte an deinen Blödsinn glauben. Du denkst, das wäre ein Spiel ... Sieh mich an! Jetzt sieh du mich an!«, schrie er auf einmal.
Christmas drehte sich um. Die blonde Locke fiel ihm zerzaust ins Gesicht und verdeckte die Wunde an der Schläfe. Die Kruste, die sich von seiner Lippe fast bis hinab zum Kinn zog, war schwarz und dick.
»Ich hab dich durchgefüttert!«, schrie Joey wieder und schlug sich dabei mit der Hand auf die Brust.
Lächelnd schüttelte Christmas den Kopf. »Verschwinde«, sagte er leise und emotionslos.
»Was hast du Rothstein erzählt, um deinen Arsch zu retten?«, bohrte Joey. »Was hast du ihm erzählt? Hast du mich verkauft?«
»Er weiß über alles Bescheid, ich musste ihm gar nichts erzählen«, gab Christmas zurück. Lange musterte er ihn, und seine Verachtung verwandelte sich in Mitleid. »Du bist ein Wurm, Joey. Hau ab.«
Joey stürzte sich blindwütig auf ihn. Christmas wich ihm aus, packte ihn am Arm, schleuderte ihn einmal herum und schließlich gegen die Ziegelsteinmauer. Joey stürzte inmitten von Müll zu Boden. Er rappelte sich wieder hoch und warf sich wutentbrannt erneut auf Christmas. Der erwartete ihn schon. Mit dem Ellbogen traf er ihn gegen die Kehle und verpasste ihm anschließend einen Boxhieb in den Magen. Joey krümmte sich und hustete keuchend, dann gaben seine Beine nach. Er sackte auf die Knie und erbrach eine gelbliche Masse auf den zerlöcherten Gassenboden. Sofort war Christmas über ihm, um erneut auf ihn einzuschlagen. Mit der gleichen Wut, mit der er auf Bill einschlagen würde, sobald er ihn fand. So wie er stets auf seine Rivalen einschlug und dabei an Bill, immer nur an Bill, dachte. Doch Bill würde er töten, wenn er ihn fand. Nur dafür war er stark geworden. Für Bill.
Christmas hob die Faust, um sie auf Joeys Nacken niedersausen zu lassen, aber plötzlich hielt er inne. »Ich hab keine Lust, mich zu prügeln.«
»Für wen zum Teufel hältst du dich eigentlich?«, stieß Joey hervor, sobald er wieder Luft bekam. »Du bist ein Niemand ...«
»Sei vorsichtig mit Rothstein.« Warnend hielt Christmas ihm einen Finger unter die Nase. »Er weiß alles. Und es juckt ihm unterm Hintern. Du hast recht, das ist kein Spiel. Lass die Finger von seinen Drogen ...«
»Was für Drogen?«
»Er weiß alles, verfluchte Scheiße!«, brüllte Christmas. »Er weiß, was ich nicht wusste!«
Joey lachte und stand auf. »Du bist echt genau wie Abe der Trottel. Was dachtest du denn, woher das ganze Geld kommt? Du kannst mich mal, Diamond. Spar dir deine Predigten. Was ist aus dir geworden? Kriechst du jetzt Rothstein in den Arsch?«
»Mach, was du willst. Aber erzähl nie wieder herum, du wärst einer von den Diamond Dogs.« Christmas wandte sich von ihm ab und verließ die Gasse.
Ratternd fuhr ein Zug der BMT-Linie über die Canal Street. Christmas mischte sich unter die Passanten. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Doch das Entscheidende in dem Moment war, nicht zu bleiben, wo er war.
»Diamond! Diamond!«, hörte er hinter sich eine Stimme rufen. Er sah sich um.
Auf dem Bürgersteig, etwa zehn Schritte entfernt, stand Joey. Kaum bemerkte er, dass
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