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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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und doch musste sich auch jede Farbe vor der unbestrittenen Herrscherin dieser Welt verneigen: dem Gelb. In Kalifornien gab es nichts, was nicht zumindest eine Spur von Gelb in sich trug. Das Goldgelb der Nuggets, nach denen die Goldschürfer gesucht hatten, das Sonnengelb, das jeden Winkel erwärmte, das helle, fast weiße Gelb der Strände entlang der Meeresküste, langer, breiter Streifen warmen, glitzernden Sandes bis hinein in die kahlen Dünen, hinter denen die Küstenstraße verlief. Und die gesamte Natur schien sich dieser Sonnenexplosion anzupassen, ringsum blühte in blendender Fülle gelber Mohn, von heute auf morgen breitete er sich aus und eroberte den trockenen, gut dränierten Boden. Der gelbe Mohn schien von einem atemlosen, ungezügelten Leben ohne Zukunftssorgen, ohne Reue, ohne Zweifel zu erzählen. Es war ein Leben, wie es sein sollte. Unbeschwert. Die Menschen trugen leuchtend bunte Hemden, liefen lachend über den Strand und liebten sich, als sorgten sie sich nicht um das Morgen.
    All das hatte Bill gesehen, als er vor drei Jahren nach Kalifornien gekommen war. Und er dachte: Hier bin ich zu Hause. Ja, er glaubte sogar, in diesem verzauberten Reich glücklich werden zu können.
    Über San Francisco hatte er schließlich Los Angeles erreicht. Eine Stadt solchen Ausmaßes hätte er sich nie träumen lassen. Er übernachtete im erstbesten Hotel, das er entlang der Straße fand, und fragte den Besitzer nach einem Hochhaus, in das er sich einmieten konnte. Er wollte das Meer von oben betrachten, wollte der Sonne so nah wie möglich sein. Der Hotelbesitzer erzählte ihm von seiner Cousine, die Parterrewohnungen am Cahuenga Boulevard vermietete. In einer sehr gepflegten und dennoch günstigen Wohnanlage. Parterre? Bill lachte ihm ins Gesicht.
    »Ich bin reich«, erklärte er und tastete dabei nach den beinahe viertausendfünfhundert Dollar in seiner Ta s c h e.
    »In Los Angeles ist das Geld schnell aufgebraucht«, warnte ihn der Hotelbesitzer.
    Wieder lachte Bill. Er fühlte sich wie eine kalifornische Mohnblume. Er war endlich aufgeblüht und wollte die Sonne genießen, nichts anderes. Vor dem Morgen musste er sich hier nicht fürchten. Es gab nur ein Heute, das es zu feiern galt.
    Zwei Monate später wurde Bill jedoch klar, dass die Wohnung mit der herrlichen Aussicht ihn bald ausbluten lassen würde. So packte er seine wenigen Habseligkeiten und kehrte zurück zum Hotel.
    »Wo genau am Cahuenga Boulevard liegt diese Wohnanlage?«, fragte er den Hotelbesitzer.
    Noch am gleichen Abend bezog er eine Parterrewohnung in der spanisch angehauchten Wohnanlage von Beverly Ciccone, einer üppigen blondierten Frau von fünfzig Jahren, die den Besitz von ihrem mit dreiundachtzig Jahren verstorbenen zweiten Ehemann Tony Ciccone geerbt hatte, einem Sizilianer, der im Valley einen Orangenhain angelegt und ihn später an eine Fruchtsaftfirma verkauft hatte. Nun, da sie Witwe war, was sie ausdrücklich hervorhob, musste Mrs. Ciccone sich vor Mitgiftjägern in Acht nehmen. Los Angeles war, wie sie behauptete, nämlich voll davon, und ein Anwesen wie das Palermo Apartment House war für viele ein Anreiz. »So wie es für mich ein Anreiz war«, fügte sie hinzu und lachte, dass ihr mächtiger Busen bebte. Dann führte sie Bill in sein neues Reich.
    Das Palermo Apartment House am Cahuenga Boulevard war ein hufeisenförmiger Komplex, den man über drei rötliche Steinstufen und durch einen Eingangsbogen betrat, wie Bill ihn in einigen Western an mexikanischen Gebäuden gesehen hatte. In der Mitte verlief ein Weg aus quadratischen Waschbetonplatten. Rechts und links davon hatte Mrs. Ciccone Rosen gepflanzt. Ein schmaler Kiesweg führte zur Veranda einer jeden Wohnung. Alle zwanzig Wohneinheiten – sieben auf jeder Längsseite, zwei in den Ecken und vier am anderen Ende – bestanden aus einem kleinen Wohnraum unmittelbar hinter der Eingangstür, einem Bad und einer eingerichteten Kochnische. Das Wohnzimmer war mit einer zweisitzigen Schlafcouch, einem kleinen Sessel, einem Teppich und einem Tisch mit zwei Stühlen eingerichtet. Neben der Schlafcouch stand ein niedriges Möbelstück, das als Nachttisch diente, an der Wand ein Schrank mit zwei Türen.
    »Wenn Sie einen Spiegel im Bad wollen, müssen Sie mir dafür fünf Dollar im Voraus bezahlen«, erklärte Mrs. Ciccone. »Der Vormieter hat ihn zerbrochen und sich aus dem Staub gemacht, ohne ihn mir zu ersetzen. Ich kann schließlich nicht noch draufzahlen.«
    »Und

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